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Dem Leben auf der Spur. Das neue Medizinhistorische Museum der Charité

PANORAMA
Dem Leben auf der Spur. Das neue Medizinhistorische Museum der Charité

Die Charité hat Rang und Namen in der Welt. Vor dem Hintergrund einer reichen und bewegten Geschichte und im Ausklang einer lebensbedrohlichen Pandemie denkt sie gegenwärtig Gesundheit neu: lokal, national und auch global. Sie entwickelt Strategien für die Medizin der Zukunft und plant hierzu, mit einem Zeithorizont bis 2050, ihre Standorte in Berlin baulich neu.

Zu den Investitionen in die Zukunft der Charité gehört das neue Medizinhistorische Museum. Über die letzten drei Jahre hinweg entstand es auf dem historischen Campus Charité Mitte. Maßgeblich gefördert durch den Bund und das Land Berlin, wurde das historische Museumsgebäude grundlegend baulich ertüchtigt. Mit einer neuen Fassadengestalt, zusätzlichen Räumen und einer modernen museumstechnischen Infrastruktur bildet es ab Anfang 2023 eine einzigartige Schnittstelle zwischen Medizin und Öffentlichkeit.

Das neue Museum bietet der Charité vielfältige innovative Möglichkeiten, Menschen aus den internen Einrichtungen der Charité, aber vor allem auch von extern, aus allen Schichten der allgemeinen Öffentlichkeit, unter den Stichworten Medizin, Gesundheit und Gesellschaft zusammenzuführen. Es fungiert künftig als eine Stätte der Begegnung, des Austauschs und der Vermittlung, als ein Ort der Identifikation und Repräsentation, vor allem jedoch als ein Forum von Reflexion und Diskussion.

Geschichte und Bestand

Grundlage und Ausgangspunkt aller künftigen Aktivitäten des neu gestalteten Museums sind seine eigene Herkunft und die einschlägigen, daraus erwachsenen Sammlungsbestände. Gegründet 1899 als Pathologisches Museum durch Rudolf Virchow (1821-1902), firmiert es seit 1998 als Berliner Medizinhistorisches Museum (BMM) der Charité. Mit zuletzt rund 100.000 Besucher:innen pro Jahr ist es heute das größte und bekannteste universitäre Medizinmuseum in Deutschland mit europa- und weltweiter Ausstrahlung. Als Museum erfüllt es mit seinen rund 50.000 Depot- und Schauobjekten (siehe Abbildungsseite mit 10 exemplarischen Exponaten) entlang der Koordinaten Sammeln, Erfassen, Erhalten und Erschließen alle museumstypischen Kernaufgaben. Als zentrale Einrichtung der Medizinischen Fakultät der Charité – Universitätsmedizin Berlin macht es seine vornehmlich aus der wirkmächtigen Charité- und Berliner Medizingeschichte stammenden Sammlungsgegenstände in Forschung, Lehre und öffentlicher Vermittlung nutz- und sichtbar.

Ein neues Gesicht

Das Berliner Medizinhistorische Museum der Charité empfängt seine Besucher:innen künftig mit einem neuen Eingang, mehr noch, mit einer gänzlich neuen Eingangsfassade (s. S. 72/73). Die sieben Fenster im Erd- und ersten Obergeschoss, die zum Charité-intern gelegenen Virchowweg hin weisen, wurden herausgebrochen und die Fensterlaibungen über beide Etagen hinweg zu hochgeschossenen Vitrinenkörpern mit geringer Tiefe ausgebaut. Die Idee für diese Fenstervitrinen stammt aus dem Museum in seiner ursprünglichen Bestimmung. Bis heute zeigt das einstige Pathologische Museum Virchows zahlreiche, in klinischen Sektionen gewonnene Lehrpräparate von meist krankhaft veränderten Organen und Gewebestrukturen des menschlichen Körpers in weitgezogenen, voll verglasten Präparatevitrinen. Transparenz für eine ungetrübte Einblicknahme war das Programm von Beginn an. Mit den Schmalseiten ragen diese Virchowschen Präparatevitrinen nun gewissermaßen durch die gewaltigen Fensterschlitze des BMM nach außen und geben einen unverstellten Blick in das Museumsinnere frei. Die starre, oft hermetisch wahrgenommene Gebäudewand wirkt dadurch transparent und transluzent. Dieses neue architektonische Element versteht sich als Einladung, offen und ohne Berührungsängste einzutreten, um sich mit Geschichte, Bedingungen und Zielen einer ambitionierten Medizin vertraut zu machen, die noch viele Rätsel von Mensch, Gesundheit und Krankheit zu klären hat, die sich jedoch auch selbst – die Corona-Pandemie hat es deutlich gezeigt – öffentlich erklären will und zu verantworten hat.

Vor dem Gebäude können sich die Besucher:innen fortan – einzeln oder als Gruppe – auf einem gänzlich neu gestalteten Vorplatz versammeln. Ein topografisches Bronzemodell des Campus Charité Mitte am Zuweg zum Museum bietet die Gelegenheit zur Orientierung auf dem geschichtsträchtigen Krankenhausgelände.

Im innen gelegenen, erweiterten Eingangsbereich sind für die Gäste des Museums an der Kasse Monitore installiert, die über alle aktuellen Ausstellungen und Veranstaltungen des Museums informieren. Eine künstlerisch gestaltete Gallensteinvitrine stimmt die Besucher:innen in einer Ruhezone thematisch ein. Ein Shop neben der Museumskasse bietet Gelegenheit, Kataloge, typische Museumsartikel und Merchandising-Produkte der Charité zu erwerben.

Eine Reise durch die Medizingeschichte

In seiner Dauerausstellung lädt das BMM seine Besucher:innen zu einer einzigartigen Reise ein. Auf rund 800 m² Ausstellungsfläche folgen die Museumsgäste der Herausbildung und Ausgestaltung der naturwissenschaftlich begründeten Medizin westlicher Prägung durch verschiedene einschlägige Aktionsräume hindurch: Anatomisches Theater, Anatomisches Museum, Krankensaal, Labor, Seziersaal, Lehr- und Studiensammlung. Im Zentrum steht das wissenschaftliche Erbe Rudolf Virchows. Mehr als 700 ausgestellte humanpathologische Feucht- und Trockenpräparate verweisen auf das zentrale Anliegen der Medizin bis heute: Krankheiten zu erkennen und zu verstehen sowie Menschen, die an diesen Krankheiten leiden, zu heilen. Kontextualisiert wird der Virchowsche Präparatesaal durch Einblicke in die laborgestützte Klinik und in einen historischen Krankensaal mit 10 Fallgeschichten von ausgewählten Charité-Patienten. Gesundheit und Krankheit werden darin in ihren gesellschaftlichen Bedingungen und Bezügen vorgestellt. Diese Präsentation folgt Virchows Diktum, dass Politik letztlich auch denkbar ist als Medizin mit anderen Mitteln.

Für die Ausrichtung der Dauerausstellung im neuen Charité-Museum ist es wesentlich, dass sie in doppelter Weise ethisch argumentiert. Zum einen erkennt sie die besondere Sensibilität der gezeigten Präparate als sogenannte „Menschliche Überreste“ an und zielt auf eine würdevolle Präsentation. Zum anderen verweist sie in einem eigens gestalteten Ausstellungselement zur „Medizin im Nationalsozialismus“ explizit auf die Fallstricke und Schattenseiten einer streng biologistisch ausgerichteten Medizin.

Die verbindende Klammer der Dauerausstellung bildet eine ausführliche Darlegung der Geschichte der Charité, die sich über beide Ausstellungsetagen erstreckt. Im neuen Museum wird hier auch die jüngere Vergangenheit des Berliner Universitätsklinikums mit seinem Beitrag zur Bekämpfung der Covid-19-Pandemie und die Rezeption der Einrichtung in der historischen Charité-Serie thematisiert.

Unvermittelt eingefügt in den Ausstellungsparcours öffnet sich eine Tür ins Depot, nicht ins reale des BMM, sondern in ein realistisch inszeniertes. Depotdinge, wie sie typischerweise im BMM einlagern – medizinische Geräte, Modelle, Instrumente, Lehrtafeln – zeigen sich hier eng an eng. An einem größeren Monitor finden Besucher:innen virtuell noch weitere Depotobjekte vor. Sie können sich diesen Stücken und den zugehörigen Kontexten nähern und letztlich eintauchen in den faszinierenden Kosmos der Objektgeschichten.

Die Chirurgie-Geschichte wird in der Dauerausstellung des BMM an verschiedenen Stellen in besonderen Objekten und Arrangements aufgerufen: Haarseilzange, Brenneisen und Aderlass-Messer verweisen auf die frühe Wundarzneikunst. Ätherflasche, Narkosemaske und Sterilisator markieren die Schwelle zur modernen Chirurgie Mitte des 19. Jahrhunderts. Am Beispiel der Augenheilkunde wird das feine Operationsbesteck und die ruhige Hand früherer Operateure beschworen. Chirurgische Zangen fanden sich bald schon an den Spitzen der ersten funktionstüchtigen Zystoskope. Der Erste Weltkrieg stellte Militärchirurgen vor allergrößte Herausforderungen. Dies bezeugt beispielhaft der Fall einer komplizierten Nasenrekonstruktion. Eine weitere sehr besondere Krankengeschichte verknüpft die jüngere Chirurgie-Geschichte mit Gegenwart und Zukunft: Ein 35-jähriger Patient mit Leberzirrhose überlebt eine 1990 durchgeführte Lebertransplantation.

Zielgruppen und Dienstleistungen

Hinsichtlich seines öffentlichen Auftritts zielt das neue Museum auf zwei große Gruppen. Nach außen wendet sich das Museum an alle Laien, die an gesundheitlichen und medizinischen Fragestellungen interessiert sind. Dabei kommt jungen Menschen in der Berufsfindungsphase eine besondere Bedeutung zu. Nach innen wendet sich das Museum ausdrücklich an alle Angehörigen der Charité, vornehmlich an die Studierenden und Auszubildenden.

Eine wesentliche Dienstleistung des BMM sind Führungen durch die Ausstellungen und über das historische Gelände der Charité. Neu hinzu kommen zielgenaue museumspädagogische Vermittlungsangebote für einzelne Gruppen. Hierfür gibt es im künftigen Charité-Museum im direkten Anschluss an das Eingangsfoyer einen eigens gestalteten Multifunktionsraum. Dieses „Virchow-Kabinett“ ist mit vermittlungsspezifischen Materialien und speziell gefertigtem Mobiliar ausgestattet.

Das generelle Interesse am Medizinhistorischen Museum speist sich aus seinen spezifischen Objekten und der Möglichkeit für die Besucher:innen, einen Blick hinter die Kulissen der Medizin werfen zu können. In unmittelbarer Nachbarschaft zum neuen Foyer, allerdings räumlich getrennt, befindet sich auf der gleichen Gebäudeebene das Museumslabor. Dort werden Beprobungen und vor allem aufwändigere restauratorische Arbeiten an Präparaten und Modellen durchgeführt. Ein assoziierter Vorraum fungiert als Schaulabor, in dem interessierte Museumsbesucher:innen der Präparatorin bei der Arbeit über die Schulter schauen können.

Im ersten Obergeschoss betreten die Besucher:innen des BMM die 400 m² große Wechselausstellungsebene. Sonderausstellungen sind das Kerngeschäft des BMM. Der gezielte Brückenschlag zwischen medizinischer Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft lässt sich für zahlreiche konkrete Themenfelder, wie etwa Chirurgie, Onkologie, Kardiologie oder Neurowissenschaften, aber auch für übergeordnete Aspekte, so beispielsweise Translation, Digitalisierung, Prävention oder Global Health, interessant, sachgerecht und spannend inszenieren. Die sich daraus ergebenden Fragen können auf neue partizipative Weise zusammen mit interessierten Besucher:innen diskutiert werden.

Hörsaalruine und Objektlabor

Das Charité-Museum verfügt auch nach dem Umbau über einen einzigartigen Veranstaltungsraum: die historische Ruine des einstigen Museumshörsaals. Der auratische Saal bewährt sich vor allem als moderierender Reflexionsraum für wichtige medizinische, gesundheitspolitische, ethische, gesellschaftsrelevante und kulturgewichtige Themen. Ein gezieltes Veranstaltungsmanagement wird die Ruine für das Museum und die Charité zu einem zentralen Forum im Dialog mit der Öffentlichkeit werden lassen.

Direkt über der Hörsaalruine erhält das Museum einen gänzlich neuen Funktionsraum. Der dortige Dachstuhlbereich wird zu einem didaktischen Objektlabor ausgebaut. Ein integriertes medizinhistorisches Lehrkabinett versammelt an dieser Stelle rund 50 ausgewählte Objekte aus allen Themenfeldern, die das BMM in seinen Sammlungen abdeckt. Sichtbar in eine teilverglaste Hochvitrine eingestellt, regen diese Stücke Studierende in eigens konzipierten Lehrveranstaltungen zu historischen Objektstudien an. Die Objektübungen an den Sammlungsstücken finden direkt vor Ort statt. Außerhalb des Unterrichts wird das Objektlabor durch Wissenschaftler:innen für Forschungszwecke genutzt. Überdies können dort Seminarsitzungen, Teambesprechungen und Projektworkshops stattfinden. Das Museum verfügt damit in diesem Bereich über einen unikalen Thinktank, aus dem sich neue Ideen und Formate hinsichtlich Forschung, Lehre und öffentlicher Vermittlung entwickeln und erproben lassen.

Resümee

Mit dem neuen Medizinhistorischen Museum macht die Charité ab Anfang 2023 allen Besucher:innen ein einzigartiges Angebot. An der Schnittstelle zwischen Medizin und Öffentlichkeit können sich künftig alle Interessierte an diesem Ort über wichtige medizinische Themen informieren und die sich daraus ergebenden Fragen sachgerecht, seriös und zielorientiert erörtern. Damit wird letztlich auch die Charité ihrem selbst gesteckten Anspruch gerecht, über lokale Gegebenheiten und Notwendigkeiten hinaus die Zukunft der Gesellschaft auf gesundheitlichem Gebiet grundlegend und global entscheidend mitzugestalten. Die ausdrückliche historische Verankerung bietet dazu eine nachhaltig breite Argumentationsgrundlage und zugleich eine Folie, vor der sich die zentralen wissenschaftlichen, sozialen, kulturellen und ethischen Dimensionen einer künftigen Medizin ausbreiten, vermitteln und mit großem Gewinn konstruktiv und produktiv diskutieren lassen.


Short Facts

Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité

Standort:

Das Berliner Medizinhistorische Museum liegt auf dem Gelände der historischen Charité in Berlin-Mitte.

Kontakt:

Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité, Charitéplatz 1, 10117 Berlin, Tel. 030 450 536 156, [email protected], www.bmm-charite.de

Ausstellungen:

Für die Wiedereröffnung im ersten Quartal 2023 bereitet das Museum neben einer punktuellen Überarbeitung seiner Dauerausstellung zwei Wechselausstellungen vor: „Das Gehirn in Wissenschaft und Kunst“ und „Da ist etwas. Krebs und Emotionen“

Nähere Informationen und genauere Zeiten siehe unter www.bmm-charite.de.

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. med. Thomas Schnalke

Direktor des Berliner Medizinhistorischen Museums der Charité

[email protected]

Panorama

Schnalke T: Dem Leben auf der Spur. Das neue Medizinhistorische Museum der Charité. 2022 Dezember; 12(12): Artikel 09_01.

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Passion Chirurgie im November: Handchirurgie

Hier geht´s zur digitalen Ausgabe! 

Die vorletzte Ausgabe der Passion Chirurgie in diesem Jahr widmet sich dem Thema „Handchirurgie“. Die Fokusartikel beschäftigen sich mit dem ambulanten Operieren in der Handchirurgie aus der Perspektive der Niederlassung und mit Handverletzungen im Sport.

Haben Sie Lust auf aktuelle und kontroverse Themen rund um die Hernienchirurgie? Dabei noch 2CME-Punkte einsammeln? Am 22. November 2022 findet um 17 Uhr das kostenlose Webinar „HERNIE KONTAKT“ statt und wir laden Sie ein, daran teilzunehmen. HIER geht es zum Programm und der Anmeldung…

Viel Spaß beim Lesen und bleiben Sie gesund,
Ihre PASSION CHIRURGIE-Redaktion

Ambulantes Operieren in der Handchirurgie aus der Sicht eines niedergelassenen Chirurgen

CHIRURGIE
Ambulantes Operieren in der Handchirurgie aus der Sicht eines niedergelassenen Chirurgen

Das ambulante Operieren gehört schon seit Jahrzehnten zur Routine in der Niederlassung. Auch Krankenhäuser bieten schon lange ambulante Eingriffe an. Aufgrund der aktuellen Diskussion über die Ausweitung des Katalogs nach § 115b des SGB V dürfte es in naher Zukunft einen massiven Schub für das ambulante Operieren geben.

Speziell in der Handchirurgie, aber nicht nur dort, ist die Ambulantisierung nicht mehr aufzuhalten. Dieses ist auch politisch gewollt, was sich auch im IGES-Gutachten und in den dreiseitigen Verhandlungen zur Stärkung des ambulanten Operierens zeigt.

In der Handchirurgie sind unter bestimmten Voraussetzungen ca. 80 Prozent der Eingriffe ambulant durchführbar (vergl. Konsensus Papier der DGH zum Thema ambulantes Operieren, veröffentlicht in der HAMIPLA 2020, 52, Seite 244-248). Durch den politisch erhöhten Druck werden in Zukunft auch die Krankenhäuser vermehrt ambulante Eingriffe ggfs. zu einem geringeren Erlös durchführen müssen.

In der Vergangenheit gab es verschiedenste Ansätze, das ambulante Operieren zu fördern.

Als Erstes zu nennen ist die lange geforderte und nach intensiven berufspolitischen Kämpfen erreichte extrabudgetäre Vergütung, ohne die das ambulante Operieren nicht denkbar gewesen wäre. In Hessen z. B. wurden schon frühzeitig viele Eingriffe zu einem festen Punktwert von 5,11 Ct vergütet, während zur gleichen Zeit bundesweit nur 3,5 Ct pro Punkt erlöst wurden!

Es gab aber auch systematische Behinderungen wie die Punktwert-Abstaffelung in Niedersachsen auf 2,1 Ct, was nach massiven Protesten der ambulanten Operateure (Aktion ruhendes Skalpell) zum Glück aufgehoben wurde.

Auch die Förderung des Ambulanten Operierens durch sogenannte Hybrid-DRGs wird als Pilotprojekt in Thüringen erprobt.

All diese Beispiele zeigen, dass die Durchführbarkeit des ambulanten Operierens nicht zuletzt auch von der Vergütung abhängt. Bevor wir dieses Thema aufgreifen, sind noch einige Gedanken zur Prozessqualität und zu den Unterschieden zwischen Krankenhäusern und Praxen nötig.

Über allem steht die Sicherheit der Patienten. Es kann nicht sein, dass eine evtl. Kostenersparnis für die Kassen zulasten der Qualität geht. Das heißt, dass Praxen/OP-Zentren und Krankenhäuser die gleiche Qualität abliefern müssen.

Die Praxen haben den Nachteil, nicht dual finanziert zu werden, wie es bei den Krankenhäusern sein sollte, teilweise aber auch nicht komplett umgesetzt ist. Auch können Lohnsteigerungen in der Niederlassung nicht wie im Krankenhaus an die Kostenträger weitergegeben werden. Im EBM ist ein Teil für die sogenannte technische Leistung vorgesehen.

Der Nachteil des Krankenhauses ist natürlich der Ausbildungsbetrieb und die oft vorhandenen verkrusteten Strukturen. In der Praxis arbeiten die Operateure meist mit einem festen Team. Natürlich müssen dazu die Assistenzen ausgebildet werden, auch die Praxis ist ein Ausbildungsbetrieb. Der/die Operateur:in ist in seinem/ihrem Gebiet in der Regel sehr erfahren. In der Handchirurgie haben nicht selten frühere leitende Oberärztinnen und -ärzte direkten Zugriff auf die Abläufe und die Prozessoptimierung. Im Krankenhaus sind unter Aufsicht des/der obligatorischen Facharztes oder -ärztin oft Weiterbildungsassistent:innen tätig. Die OP-Schwestern oder -Pfleger kommen nicht selten aus einem Pool und sind daher mit den Eingriffen nicht so vertraut. Das gleiche gilt für die Anästhesist:in mit den Anästhesieschwestern und -pflegern. Die Wege sind länger, die Prozesse oft nicht optimiert. Häufig werden in den Krankenhäusern die Abläufe von außen durch fachfremde nicht in die Arbeit involvierte „Prozessoptimierer:innen“ vorgegeben.

Der Ausbildungsbetrieb verhindert durch Reibungsverluste natürlich ein ökonomischeres Arbeiten. Da sich auch immer mehr die Weiterbildung in den ambulanten Betrieb verschieben wird und muss, wird dies bei zukünftigen Honorarverhandlungen mit beachtet werden müssen. Anders wird das bestehende Weiterbildungsniveau nicht mehr zu halten sein.

Bei der so wichtigen Erlössituation ist zu beachten, dass bei der ursprünglichen Bewertung ein Punktwert von 5,11 Ct zugrunde gelegt wurde (vor 20 Jahren). Der Anteil der technischen Leistung (u. a. auch Rücklagen für Neuinvestitionen, Abschreibungen etc.) beträgt ca. 70 Prozent. Die Kosten sind aber immens gestiegen, bereits vor der Erhöhung der Energiekosten um ca. 30 Prozent. Bisher auch nicht berücksichtigt sind die erhöhten Kosten im Hygienebereich.

Im IGES-Gutachten wurden bei fünf Fallbeispielen häufiger Eingriffe unter DRG-Bedingungen bis 16-fach höhere Erlöse erzielt als dies unter EBM-Bedingungen möglich ist. Dies unterstreicht die dringende Notwendigkeit einer Steigerung der Erlöse des ambulanten Operierens, zumal auch die Krankenhäuser nach EBM abrechnen müssen und somit auch ihre Erlöslage defizitär ist.

Im ambulanten Bereich muss also sehr knapp kalkuliert werden. Die Kosten für Abdeckmaterialien betragen pro OP 20 bis 40 €, die Aufbereitungs- und Hygienekosten je nach OP 60 bis 80 €, Abschreibungen/Neuanschaffungen für Instrumente/Bildwandler ca. 5 bis 40 €, Personalkosten 50 € pro Stunde (2 MFA). So kommen ohne Raumkosten für das OP-Zentrum Fixkosten in Höhe von 135 bis 210 € pro Operation zusammen.

Als Beispiel möchte ich die Situation bei einigen ambulanten Eingriffen darlegen:

Metallentfernung Radiusplatte:

Erlös 210,72 €, Kosten 155 € (wenn die ME schnell geht)

Metallentfernung K-Draht Mittelhand:

130,09 €, Kosten 115 € (1/2 Std. Personal)

Karpaltunnelspaltung:

159,96 €, Kosten 115 €

Der ärztliche Lohn wird in der EBM-Kalkulation normativ mit einem Oberarztgehalt angesetzt, zurzeit 117.060,00 € pro Jahr, zuletzt angepasst 2020. Dieser Wert ist heute nicht mehr realistisch, darüber hinaus findet keine regelmäßige Anpassung bei Tarifsteigerungen statt. Es wird so jedem klar, dass ambulantes Operieren nur gefördert werden kann, wenn endlich die Erlössituation der Realität angepasst wird, dies gilt für Praxen wie Krankenhäuser gleichermaßen. Da erscheint die Forderung der Ausgabenneutralität der gesetzlichen Krankenkasse im Schulterschluss mit unserem Bundesgesundheitsminister wie blanker Hohn und ein Schlag ins Gesicht der Operateur:innen.

Natürlich sind auch die Umfeld-Bedingungen beim ambulanten Operieren zu beachten: Neben dem Facharztstatus auch die postoperative 24-Stunden-Erreichbarkeit, die postoperativen Visiten, die Risikoaufklärung (Zeitbedarf in den letzten Jahren enorm gestiegen), die Dokumentation, die Infrastruktur (im ländlichen Raum anders zu bewerten als in der Großstadt) etc.

Fazit

Das ambulante Operieren muss dringend gefördert werden. Dies wird jedoch nur gelingen, wenn die Vergütung endlich realistisch kalkuliert und den aktuellen Gegebenheiten angepasst wird. Dann könnte bei entsprechendem Setting ein großer Teil der jetzt noch stationär erbrachten handchirurgischen Operationen bei gleichbleibender Qualität und Sicherheit ambulant durchgeführt werden.

Es kann nicht sein, dass Deutschland im weltweiten Ländervergleich bei der Bezahlung wie auch bei der Umsetzung des ambulanten Operierens einen der letzten Plätze einnimmt, teilweise hinter Pakistan.

Im Krankenhaus sind oft durch interne Reibungsverluste ambulante Eingriffe nicht kostendeckend umsetzbar, im niedergelassenen Bereich nur unter erschwerten Bedingungen. Alle zukünftigen Konzepte müssen die Weiterbildung des chirurgischen Nachwuchses auch im ambulanten Bereich berücksichtigen. Es erscheint durchaus sinnvoll, dafür auf die Expertise ambulanter Operateur:innen mit teilweise mehr als 25-jähriger Erfahrung zurückzugreifen, anstatt das Rad immer neu zu erfinden.

Dr. med. Karsten Becker

Handchirurgische Praxis Dr. Karsten Becker

Peiner Straße 2

30519 Hannover

[email protected]

Chirurgie

Becker K: Ambulantes Operieren in der Handchirurgie aus der Sicht eines niedergelassenen Chirurgen. Passion Chirurgie. 2022 November; 12(11): Artikel 03_01.

Diesen Artikel finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Fachgebiete | Plastische- und Ästhetische Chirurgie.

BDC-Praxistipp: Warum sind meine Geschwister im OP-Saal immer dabei?

Vorwort

Geschwister im OP

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

soziale Interaktionen bezeichnen vereinfacht Vorgänge gegenseitiger Beeinflussung, in deren Folge sich Verhaltensweisen und Einstellungen manifestieren oder ändern. Man muss nicht Habermas, Luhmann oder Weber studieren, um zu erkennen, dass die natürlichen Grundlagen dafür Kommunikation und Austausch stellen, denn soziale Interaktionen bestimmen unseren gesamten Alltag.

Zwischenmenschliches Zusammenspiel wird dabei umso anspruchsvoller, je mehr Mitglieder einer sozialen Gruppe daran teilnehmen. Das interprofessionelle Team eines OPs stellt eine solche Gruppe, dessen Kooperationsfähigkeit schon allein durch divergierende Zielsetzungen und Vorbildungen sehr ambitioniert ist.

Das Handeln in einer solchen Gruppe erfolgt über ein fortlaufendes aufeinander eingestelltes und dadurch orientiertes „Sich-Verhalten“. Die soziale Interaktion basiert dabei neben der individuell abweichenden selektiven Wahrnehmung auch stark auf dem individuellen Sozialisationsprozess.

Die Sozialisation startet schon in frühester Kindheit – und jetzt kommen die Geschwister ins Gespräch. Geschwisterrollen beeinflussen nachhaltig unsere späteren Haltungen, Rezeptionen und Verhaltensweisen im Privaten wie im Beruf. Unsere Geschwister sind also immer dabei – auch im Operationssaal. Und je mehr wir davon verstehen, umso erfolgreicher können wir agieren.

Erhellende Lektüre wünschen deshalb

Prof. Dr. med. C. J. Krones

und

Prof. Dr. med. D. Vallböhmer

Ein Gedankenexperiment

Zur Beurteilung und Modulation sozialer Interaktionen werden Arbeitskollektive in vielen verschiedenen Bereichen immer wieder mit Gruppen anderer Herkunft verglichen. Ein bekannter Klassiker in der Medizin ist z. B. die Korrelation einer Arztgruppe mit einer Sportmannschaft. Ein OP-Team ist eine solche Gruppe, deren komplexe soziale Interaktion den Arbeitserfolg stark beeinflussen kann.

Neben anderem kann man OP-Teams versuchsweise auch mit einer Geschwisterrunde vergleichen: Der Operateur fungiert z. B. als großer Bruder. Er gibt den Takt vor. Erst wenn er den OP-Saal betritt und sich korrekt eingekleidet hat, kann die OP starten. Die Anästhesistin als seine nächst ältere Schwester mault zwar manchmal über seine Vorrangstellung, kooperiert dann aber doch meist problemlos, zumal ihre Expertise im weiteren Verlauf des Geschehens immer wichtiger, ja unverzichtbar wird. Dann sind da die anderen Geschwister, etwa als OP-Assistentin, die wie eine mittlere Schwester dem OP-Boss möglichst geschmeidig und unkompliziert zuarbeiten muss. Sie hält laufend engen Kontakt zum Operateur und dirigiert nach seiner Maßgabe die jüngeren Geschwister, die als instrumentierende OP-Kraft oder als OP-Pflegekraft in dem Geschwisterensemble nahtlos „funktionieren“ müssen. In besonderen Krisensituation hat sie auch flugs eine Springerin oder einen Springer zu organisieren. Manchmal empfinden die jüngeren Geschwister ihren Status als die „Kleinen“ als unbefriedigend. Nach einer gelungenen OP wird ihnen aber doch wieder klar: Ohne sie kann gar nichts laufen. Solche OP-Ensembles gelingen, wie Sie, liebe Leserin, lieber Leser, sicher selbst oft erlebt haben, viele tausendmal mehr oder weniger reibungslos. Ich möchte aber behaupten, dass jede OP umso besser gelingt, je spezifischer die beteiligten Personen aus ihrer Herkunftsfamilie auf die gesamte Kooperationssituation im OP-Saal vorbereitet sind. Und diese These möchte ich anhand eines Konzepts aus einer psychoanalytischen Sozialisationstheorie belegen.

Das Konzept

Schon in den1960er-Jahren beforschte Walter Toman in den USA, wie sich Geschwisterbeziehungen im späteren Leben günstig oder ungünstig auf berufliche Kooperationen auswirken. Geschwisterbeziehungen systematisierte er dabei nach (1) der Rangreihe und nach (2) dem Geschlecht. Da sich von „Geschwistern“ erst ab zwei Kindern in einer Familie sprechen lässt, entstehen nach den Regeln der Kombinatorik mindestens

A. vier weibliche:

s(s) die ältere Schwester einer jüngeren Schwester

(s)s die jüngere Schwester einer älteren Schwester

s(b) die ältere Schwester eines jüngeren Bruders

(b)s die jüngere Schwester eines älteren Bruders und

B. vier männliche Typen:

b(b) der ältere Bruder eines jüngeren Bruders

(b)b der jüngere Bruder eines älteren Bruders

b(s) der ältere Bruder einer jüngeren Schwester

(s)b der jüngere Bruder einer älteren Schwester.

Das System wird hier gleich in der von Toman (2020, 91 ff) vorgeschlagenen Schreibweise präsentiert. Die Person, von der gerade gesprochen wird, steht außerhalb der Klammer und ihre Geschwister innerhalb der Klammer. Demnach ist z. B. der älteste Bruder von zwei Schwestern und einem noch jüngeren Bruder so darzustellen: b(ssb).

Toman konnte zeigen, dass Menschen durch ihre Geschwisterposition von früh an eine Identität als Älteste, Jüngste, Mittlere, Einzelkind oder Zwilling herausbilden. Durch die tagtäglichen Interaktionen in der Familie üben sie bestimmte Handlungsmuster ein, die sie auch später zu realisieren suchen. Ohne hier auf Besonderheiten einzugehen, – dafür sei auf den Originaltext verwiesen – lassen sich für berufliche Kontexte, zwei basale Hypothesen formulieren:

(1) Ältere Geschwister neigen auch später zur Dominanz, Jüngere dagegen haben eher gelernt sich unterzuordnen. So sind Älteste auch später eher bereit und in der Lage, Führungspositionen zu übernehmen als Jüngere.

(2) Geschwister, die nur unter Geschlechtsgenossinnen oder -genossen aufgewachsen sind, neigen dazu, auch später Personen desselben Geschlechts zu präferieren. Das heißt z. B. der ältere Bruder von Schwestern wird mit der Führung von Frauen später leichter zurechtkommen als der ältere Bruder von Brüdern. Dieser wird in Männermilieus allerdings wahrscheinlich erfolgreicher führen als der Bruder von Schwestern.

Neben den Grundtypen gibt es selbstverständlich auch mittlere Geschwister, Einzelkinder und Zwillinge. Über mittlere Geschwister lässt sich sagen, dass sie je nach dem Altersabstand zu den anderen Geschwistern oft eher Grundkonstellationen zuzuordnen sind. So wird sich etwa die mittlere Schwester von einem älteren Bruder und einer jüngeren Schwester (b) s (s) eher als jüngere Schwester eines Bruders ausprägen, wenn der Altersabstand zum älteren Bruder nur zwei Jahre, der Abstand zur jüngeren Schwester dagegen zehn Jahre ist. Sie war bis zur Geburt der Schwester immerhin zehn Jahre ihres Lebens jüngere Schwester eines Bruders. Schwieriger stellen sich gleichgeschlechtliche Konstellationen mit einem nur geringen Abstand dar wie etwa die folgende: (s)s(s). Wenn diese mittlere Schwester von zwei Schwestern zur älteren und zur jüngeren jeweils nur einen Abstand von zwei Jahren hat, wird sie in ihrer Kindheit möglicherweise Mühe haben, ihre Identität zwischen der Ältesten und der Jüngsten zu präzisieren. Vielleicht ist sie dann später immer wieder in Sorge, übergangen zu werden. Im besseren Fall ist sie besonders gut in der Lage, sich in soziale Systeme zu integrieren. Gerade bei Prognosen für mittlere Geschwister ist es wichtig, die familiäre Gesamtkonstellation zu betrachten.

Bei Einzelkindern geht Toman davon aus, dass sie meistens von klein auf gewöhnt sind, im Mittelpunkt zu stehen und wichtig zu sein. Außerdem neigen sie dazu, die Geschwisterkonstellation des gleichgeschlechtlichen Elternteils zu übernehmen. So würde ein weibliches Einzelkind E mit einer Mutter, die die älteste Schwester einer Schwester war s(s), auch eher wie eine ältere Schwester von Schwestern in Erscheinung treten. Wenn allerdings auch die Mutter schon Einzelkind war, würde Toman annehmen, dass bei dieser Frau Merkmale des Einzelkindes besonders stark ausgeprägt sind.

Bei Zwillingen ist zu unterscheiden, ob es sich um ein- oder zweieiige handelt. Eineiige Zwillinge sind nicht nur zur gleichen Zeit geboren, sie haben jeweils auch den gleichen Entwicklungsstand. Deshalb sind sie meistens extrem stark aufeinander bezogen und haben es auch in späteren Jahren schwer, sich voneinander abzulösen. Bei zweieiigen Zwillingen sind die Beziehungen nicht so dicht, besonders, wenn es sich um einen Jungen und ein Mädchen handelt. Diese Kinder neigen in der Regel dazu, sich mit dem gleichgeschlechtlichen Elternteil zu identifizieren und damit auch Persönlichkeitsmerkmale von dessen Geschwisterkonstellation zu übernehmen.

Die Beziehungsformen

Menschliche Beziehungen differenziert Toman in „Komplementär“- und „Identifikationsbeziehungen“.

(1) Komplementärbeziehungen

Toman (2020, 78 ff) zeigt, dass neu angebahnte Beziehungen umso erfolgreicher und dauerhafter bestehen, je ähnlicher sie früheren und frühesten Sozialerfahrungen der Betreffenden sind. Das bedeutet vor allem für Paarbeziehungen, dass sie umso haltbarer sind, je mehr die jeweiligen Partner ihre frühere Geschwisterkonstellation in der neuen Beziehung wiederfinden. So erweisen sich Partnerbeziehungen eines älteren Bruders von einer jüngeren Schwester b(s) mit einer jüngeren Schwester eines älteren Bruders (b)s als ausgesprochen haltbar,

  • weil jeder der beiden sich schon in der Familie an das Zusammenleben mit einer Person des anderen Geschlechts gewöhnen konnte. Sie haben also nach Toman (2020, 87 ff) keinen „Geschlechtskonflikt“.
  • Außerdem übt der ältere Bruder auch später wie selbstverständlich Dominanz aus, was für die jüngere Schwester als Juniorin durchaus akzeptabel ist. So haben sie also auch keinen „Rangkonflikt.“

Die prognostisch ungünstigste Partnerbeziehung wäre demgegenüber eine, wo sich die älteste Schwester einer Schwester s (s) mit dem älteren Bruder eines Bruders b (b) liiert. Beide sind durch ihre Kindheit nicht gewöhnt, mit Personen des anderen Geschlechts in einem Familienverband zu leben. Sie können sich also nicht spontan in den anderen hineinversetzen. Sie haben nach Toman einen „Geschlechtskonflikt“. Außerdem ist jeder von beiden von früh an gewöhnt zu dominieren, weshalb sie um die Dominanz in der Beziehung rangeln werden, nach Toman also auch einen „Rangkonflikt“ haben. Es sei allerdings angemerkt, dass Paare, die dauerhaft in solchen Konstellationen leben, oft eine Vielzahl gemeinsamer Interessen entwickelt haben, die sie jenseits ihrer Geschwisterkonstellation zusammenhält.

All das gilt im Prinzip auch für berufliche Beziehungen. So wird sich der jüngere Bruder einer älteren Schwester (s) b wahrscheinlich eher von einer älteren Schwester eines Bruders s (b) führen lassen, als von der älteren Schwester einer Schwester s (s). Die ältere Schwester des Bruders s(b) hat nämlich aller Voraussicht nach mehr Verständnis für die spezifischen Extravaganzen eines männlichen Juniors als die ältere Schwester einer Schwester s(s). Letztere ist eher gewöhnt „kleine Prinzessinnen zu hüten als kleine Prinzen.“

(2) Identifikationsbeziehungen

Den anderen Beziehungstyp nennt Toman „Identifikationsbeziehungen“. Hier geht es nicht um Ergänzung sondern um Ähnlichkeit. Dabei handelt es sich um narzisstische Wahlen: Jeder liebt im anderen sich selbst. Diesen Typ finden wir bevorzugt bei gleichgeschlechtlichen Personen. So lässt sich beobachten, dass ältere Brüder von Brüdern b(b) als Vertrauensperson häufig auch wieder ältere Brüder von Brüdern b(b) aufsuchen. Oder jüngere Schwestern von Schwestern (s)s präferieren als Freundinnen vielfach auch wieder jüngere Schwestern von Schwestern (s)s. Toman zeigt außerdem, dass sich die Beziehungen zwischen Vater/Sohn sowie Mutter/Tochter ebenfalls nach dem Ausmaß der Identifikation positiv versus negativ gestalten. So wird ein Vater, der als jüngerer Bruder einer Schwester (s)b aufgewachsen ist, einen Sohn, der ebenfalls als jüngerer Bruder einer Schwester (s)b aufwächst, leichter akzeptieren, als ein Vater, der ein älterer Bruder von mehreren Brüdern ist b(bb). Sein Sohn wird ihm möglicherweise dauerhaft als „verzärtelter Bubi“ fremd bleiben.

In Arbeitsbeziehungen begegnen uns ebenfalls Identifikationsbeziehungen. So können Kooperationen zwischen zwei älteren Brüdern von Brüdern (b(b) + b(b) in Pionier- also Aufbaustadien von Organisationen außerordentlich fruchtbar sein. Jeder findet im anderen die an sich selbst realisierte Dominanz und bejaht sie auch im anderen. Ähnliches lässt sich immer wieder bei älteren Schwestern von Schwestern beobachten s (b) + s (b). In der etwas „kernigen“ Dominanz respektiert sich jede der beiden in der anderen. In manchen Konstellationen bilden sie aber genau sie eine Quelle von Konflikten.

Konflikte im OP-Saal und ihre Bewältigung durch Coaching

Manche Konflikte, die sich im OP ergeben, lassen sich auf Komplikationen aus Geschwisterbeziehungen zurückführen (Schreyögg 2015). Konflikte zwischen Operateur und Anästhesist konstellieren sich gar nicht selten als Rivalitätskonflikte. Das geschieht, wenn beide in ihren Familien Senioren waren, und nun jeder die Vorrangstellung im Beruf für sich reklamiert, obwohl sie aktuell doch unterschiedlichen Funktionsbereichen angehören. Es ist auch möglich, dass die OP-Assistenz oder eine OP-Pflegekraft Dominanz reklamieren. Dann wäre ein Team-Coaching sinnvoll, bei dem jeder Mitarbeiter die Möglichkeit erhält, seinen spezifischen fachlichen Beitrag den übrigen Kooperationspartnern darzustellen, damit er/sie ausreichend gewürdigt wird. Dabei wäre es sinnvoll, dass Vorgesetzte die Dominanzansprüche des Mitarbeiters zur Kenntnis nehmen und dann fachspezifisch kanalisieren. Dazu muss man die Stärken des Mitarbeiters tiefer erkunden, und ihm in speziellen Bereichen ein Spezialistentum als „Dominanzbühne“ zugestehen. Problematisch können aber auch ursprünglich komplementäre Beziehungen werden. So geschieht es nicht selten, dass ein älterer Vorgesetzter, der als jüngerer Bruder in einer längeren Geschwisterreiche (sbsb)b aufgewachsen ist, einen neuen Mitarbeiter anheuert, der älterer Bruder in seiner Geschwisterreihe b(sbs) war. Zunächst versteht er sich mit diesem im Sinne von Komplementarität vielleicht ganz wunderbar. Wenn sich die Komplementarität vertieft, erlebt der Vorgesetzte jedoch mit zunehmendem Unbehagen, in der Interaktion mit dem Mitarbeiter sukzessive in eine Juniorenrolle zu rutschen. Diese kollidiert aber heftig mit seiner formalen Position und seinem Selbstverständnis. Hier ist es Aufgabe des Coachings, die gefühlsmäßige Konstellation aufzudecken, sodann alternative Muster einzuüben. Dabei wäre es sinnvoll, anhand imaginierter Interaktionssequenzen mit dem Mitarbeiter neue Sprach- und Handlungsmuster zu erproben, so dass der Vorgesetzte langsam wieder formal adäquatere Beziehungsformen einsteuert.

Zusammenfassung

Die handelnden Personen im komplexen Setting eines Operationssaals funktionieren in einem andauernden gesellschaftlichen Zusammenspiel. Aus unterschiedlichen Gründen kann diese anspruchsvolle soziale Interaktion Auseinandersetzungen produzieren, die ein erfolgreiches und erfüllendes Arbeiten belasten. Oftmals liegen Ursachen und Auslöser der Konflikte völlig fachfremd in persönlichen Erfahrungen, Einstellungen und Erwartungen. In diesen Fällen ist es lohnenswert, das Selbstverständnis und die Lebenseinstellung der Akteure zu erforschen. Geschwisterbeziehungen prägen stark die berufliche Mentalität. Denn Bruder und Schwester sind immer dabei.

Literatur

[1]   Schreyögg, A. (2015): Life-Coaching: Dynamiken der Herkunftsfamilie. In: Die Professionalisierung von Coaching (373-389). Springer.
[2]   Toman, W. (2020): Familienkonstellationen. Ihr Einfluss auf den Menschen. C.H. Beck.

Dr. phil. Astrid Schreyögg

Professionelles Coaching in Praxis und Ausbildung

Salzachstr. 67

14129 Berlin

[email protected]

Schreyögg A: BDC-Praxistest: Warum sind meine Geschwister im OP-Saal immer dabei? Passion Chirurgie. 2022 November; 12(11): Artikel 05_01.

Handverletzungen im Sport

CHIRURGIE
Handverletzungen im Sport

Hintergrund

Die zahlreichen, gesundheitlichen Benefits einer regelmäßigen sportlichen Betätigung sind allgemein bekannt und mehrfach belegt [1–4]. Wesentliche Schattenseite ist das allgegenwärtige Verletzungsrisiko, das sowohl Freizeit- als auch Profisportler tragen.

Die Hand ist im Sport häufig besonders exponiert und somit häufig von Verletzungen betroffen. Bis zu 25 % aller Sportverletzungen betreffen die Hand, wobei das Verletzungsrisiko abhängig von der Sportart variiert [5–13]. Als zentrales Werkzeug unseres täglichen privaten und Arbeitslebens ist die Hand im Verletzungsfall mit hohen Arbeitsausfallraten und Gesundheitskosten vergesellschaftet [14–16]. Aber auch für Betroffene können Sportverletzungen kostspielig werden. Dies gilt insbesondere für Fälle chronischer Sportverletzungen, sogenannte Überlastungsverletzungen sowie besonders schwere Sportverletzungen mit Langzeitbeeinträchtigungen, da diese häufig nicht durch Krankenversicherungen gedeckt sind.

Während eine regelmäßige sportliche Betätigung bis ins hohe Alter sowie unter den jungen Generationen gesundheitlich vorteilhaft und wünschenswert ist, sind diese beiden Bevölkerungsgruppen, die Jüngsten und die Ältesten, besonders vulnerabel für Sportverletzungen. Darüber hinaus lässt sich ein stetiger Anstieg der Belastungsgrenzen im kompetitiven Sport beobachten [11, 17–20].

Effektive Maßnahmen zur Verletzungsprävention sind Schlüssel zu mehr Sicherheit im Sport, setzen allerdings Kenntnisse über sportspezifische Risikoprofile voraus. Daten zu Sportverletzungen stammen bisher überwiegend aus dem angloamerikanischen Raum, allen voran den USA, wo große Surveillance-Programme ein Monitoring von sportassoziierten Verletzungen ermöglichen. Hier ist ein Großteil der Sportverletzungen der Hand auf Sportarten wie Football, Eishockey oder Wrestling zurückzuführen [17, 21, 22]. Die Datenlage zu Sportverletzungen innerhalb Europas ist spärlich. Ungeklärt blieb die Frage, ob die in der Literatur beschriebenen, typischen Sportverletzungsprofile auch auf die deutsche Bevölkerung umlegbar sind.

Methoden

Aus diesem Grund befassten wir uns in einer retrospektiven, monozentrischen Studie mit allen Sportverletzungen der Hand, die im Zeitraum Februar 2013 bis Februar 2018 an der Abteilung für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie der Medizinischen Hochschule Hannover, einem Level-1-Traumazentrum und einem FESSH(Federation of European Societies for Surgery of the Hand-)akkreditiertem Hand-Trauma- und Replantationszentrum, behandelt wurden. Da aktuell kein spezifischer ICD-10-GM (International Statistical Classification of Diseases and Related Health Problems 10th Revision German Modification) Diagnoseschlüssel [23] für Sportverletzungen existiert, erfolgte die Datenakquise mithilfe der ICD-10-GM-Codes für Handverletzungen sowie einer Textanalyse mittels 147 sportspezifischer Stichworte. Zur Prüfung der Diagnosegewissheit wurde anschließend jeder einzelne der resultierenden 1.530 Fälle manuell gescreent und Patientenmehrfachzählungen ausgeschlossen.

Ergebnisse

Insgesamt verzeichneten wir 364 Patienten, die im o. g. Zeitraum Handverletzungen durch 42 verschiedene Sportarten erlitten. Die drei Spitzenreiter waren der Radsport (n = 101,28 %), Fußball (n = 66,18 %) und der Reitsport (n = 46,13 %), gefolgt von Handball (n = 24,7 %), Volleyball (n = 14,4 %) und Skifahren (n = 12,3 %). Eine entsprechende Einteilung in Sportübergruppen ergab, dass der Großteil der Handverletzungen im Rahmen von „Ballsportarten ohne Schläger“ (n = 114,31 %), dem Radsport (n = 101,28 %) und dem Reitsport (n = 46,13 %) entstanden.

Alters- und geschlechtsspezifische Unterschiede

Insgesamt war das männliche Geschlecht (n = 246,68 %) deutlich häufiger von sportassoziierten Handverletzungen betroffen als das weibliche, bei einem allgemeinen Durchschnittsalter von 32 ± 17 Jahren (Range 3–89). Klare geschlechtsspezifische Unterschiede zeigten sich bei „Ballsportarten ohne Schläger“, überwiegend Fußball, zuungunsten des männlichen Geschlechts (n n = 101,89 %; p < 0,001), sowie im Reitsport zuungunsten des weiblichen Geschlechts (n = 39,84 %). Auch beim Alter zeigten sich deutliche Unterschiede im Hinblick auf die Sportübergruppen. Jüngere Patienten erlitten Handverletzungen deutlich häufiger bei „Ballsportarten ohne Schläger“, beim Klettern sowie Gymnastik. Im Gegensatz dazu traten Radsportverletzungen der Hand tendenziell häufiger unter den älteren Patienten auf.

Behandlungs- und diagnosespezifische Unterschiede

60 Prozent (n = 218) aller sportassoziierten Handverletzungen wurden operativ behandelt, bei insgesamt 166 (46 %) Hospitalisationen.

Reitsportverletzungen wurden in 76 % (n = 35, p = 0,017) operativ versorgt, während 63 % dieser Patienten (n = 29; p = 0,011) eine stationäre Behandlung erhielten. Insgesamt erfolgte in einem einzigen Fall eine Hospitalisierung, ohne eine chirurgische Therapie. Der Grund hierfür war die patientenseitige Operationsablehnung im Verlauf der Behandlung. Die durchschnittliche stationäre Behandlung innerhalb unserer Patientenkohorte betrug 1,7 ± 3,5 Tage (p = 0,003; Range 1–27). Diese Hospitalisierungsdauer zeigte sich unter den Reitsportverletzungen signifikant verlängert (3.2 ± 5,2 Tage). 76 Prozent (n = 35, p = 0,017) der Reitsport-verursachten Handverletzungen bedurften einer chirurgischen Versorgung und 63 % (n = 29, p = 0,011) einer stationären Behandlung.

Mit 39 Prozent (n = 141) waren „Frakturen im Bereich des Handgelenks und der Hand“ (ICD-10-GM Code S62.-) die häufigsten Verletzungen in unserem Patientenpool, gefolgt von „Offenen Wunden des Handgelenks und der Hand“ (ICD-10-GM Code S61.-) (n = 86, 24 %) und „Luxationen, Verstauchungen und Zerrungen von Gelenken und Bändern in Höhe des Handgelenks und der Hand“ (ICD-10-GM Code S63.-) (n = 62, 17 %). Amputationsverletzungen, an der Hand waren mit 64 Prozent signifikant häufiger mit dem Reitsport assoziiert (n = 9, 64 %, p < 0,001).

Diskussion

Das Verletzungsrisiko, als wesentliche Kehrseite des Sports, variiert innerhalb verschiedener Sportarten. Gleichzeitig unterliegt das Sportverhalten einer geografischen bzw. kulturellen Variabilität. Die Ergebnisse unserer Studie bestätigen dies. Während in den USA Handverletzungen vor allem bei Sportarten wie American Football, Gymnastik, Wrestling und Basketball auftreten [17], waren es in unserer niedersächsischen Patientenkohorte überwiegend der Radsport, Fußball und Reitsport. Die Sportarten American Football und Rugby zusammen machten in unserer Analyse lediglich 1 Prozent aller eingeschlossenen Handverletzungen aus.

Das männliche Geschlecht sowie junge Menschen im arbeitsfähigen Alter stellten in unserer Analyse die insgesamt größte Risikogruppe dar. Dieses demografische Verteilungsmuster beobachteten auch zahlreiche vorausgehende Studien. Die hohe Zahl an Sportunfällen im arbeitsfähigen Alter unterstreicht die finanzielle Bürde von Sportverletzungen. Für die Betroffenen können sie einen vorübergehenden oder gar dauerhaften Sport- und/oder Arbeitsausfall bedeuten.

Im Hinblick auf das Geschlecht zählte in unserer Studie einzig der Reitsport signifikant mehr Verletzungen bei Frauen als bei Männern. Insgesamt rangierten Reitsportverletzungen auf Platz drei der häufigsten sportassoziierten Handverletzungen. Gleichzeitig zeigte sich der Reitsport in unserer Analyse mit besonders schwerwiegenden Handverletzungen, signifikant höheren Operations- und Hospitalisierungsindikationen sowie einer verlängerten Hospitalisierungsdauer assoziiert. 64 Prozent aller traumatischen Amputationen im Bereich des Handgelenks und der Hand waren dem Reitsport geschuldet. Diese Daten decken sich mit unseren klinischen Beobachtungen. Sehr häufig weisen Reitsportverletzungen der Hand eine hohe Komplexität auf. Das hohe Verletzungsrisiko der oberen Extremität sowie der allgemeine hohe Verletzungsschweregrad bei Reitunfällen wurde bereits von einigen Kollegen beschrieben [24–26]. Nichtsdestotrotz bleiben Reitsportverletzungen in der Literatur verhältnismäßig unterrepräsentiert.

Effektive Präventionsmaßnahmen, im Sinne von Regeländerungen oder der Einführung von Protektionsausrüstung sind ein entscheidender Hebel bei der Minimierung des Verletzungsrisikos im Sport. Solche Maßnahmen zur Reduktion der Traumainzidenzen im Sport haben sich in der Vergangenheit bereits mehrfach erfolgreich gezeigt [27–30]. Es drängt sich folglich die Frage auf, ob Schutzhandschuhe im Reitsport das Risiko schwerer Handverletzungen senken können.

Wie im sechsstufigen Sportverletzungspräventionsmodell Translating Research into Injury Prevention Practice (TRIPP) Modell beschrieben, ist die Voraussetzung für die erfolgreiche Einführung von Präventionsmaßnahmen eine genaue Kenntnis von Verletzungsmustern durch ein kontinuierliches Monitoring aktueller Risikoprofile im Sport [31]. Dies geschieht idealerweise mittels standardisierter, flächendeckender nationaler, oder besser noch internationaler Verletzungsregister. In Deutschland stellt das Hand Trauma Register der Deutschen Gesellschaft für Handchirurgie ein vielversprechendes nationales Register dar. Seit seinem Start 2018 verzeichnete dieses Traumaregister 40 beitragende Kliniken [32] und ist somit noch klar ausbaufähig. Auf europäischer Ebene existiert die European Injury Data Base. Sie zählt aktuell 18 Mitgliedsstaaten, die jedoch jeweils eine hohe Variabilität in der Zahl der beitragenden Kliniken aufweisen (etwa ist hier Deutschland mit einer und Italien mit 114 teilnehmenden Einrichtungen repräsentiert) [33]. Eine Hürde großer internationaler Register, die es zu überwinden gilt, ist die Vereinheitlichung und Standardisierung erfasster Daten, trotz internationaler Differenzen, etwa in Gesundheitspolitik oder Datenerfassung [15].

Die Erfassung von Sportverletzungen in Datenbanken ist insofern von hoher Relevanz, als diese aktuell keine Berücksichtigung im ICD-10-GM [23] Kodierungssystem finden. Unsere Studie zeigt die Schwierigkeiten der nachträglichen Aufarbeitung dieser Verletzungsentität. In der Tat stellt der retrospektive Charakter dieser Studie daher eine klare Limitation dieser Arbeit dar. Arztbriefe und Operationsberichte wurden umfangreich auf relevante Stichworte gescreent, Datenverluste können dennoch nicht sicher ausgeschlossen werden. Auch bietet die retrospektive Analyse keine Information über Verletzungsmechanismen, welche entscheidend für ein effektives Präventionsmanagement ist. Als monozentrische Studie einer Universitätsklinik der Maximalversorgung mit einem überregionalen Einzugsbereich bietet diese Arbeit Einblick in die niedersächsischen Risikoprofile für Sportverletzungen der Hand. Eine Umlegung dieser Daten auf Gesamt-Deutschland ist jedoch nicht ohne weiteres möglich.

Sportverletzungen der Hand sind häufig und werden daher jedem Handchirurgen und jeder Handchirurgin begegnen. Daher sollten Kenntnisse über die typischen Verletzungsmuster im entsprechenden Versorgungsumkreis, wie sie beispielhaft in dieser Publikation ausgeführt sind, bestehen.

Aktuell zeigt der allgemeine Sportlichkeitstrend in Europa eindeutig nach unten. Laut dem Eurobarometer 472 aus dem Jahr 2018 gab knapp die Hälfte der Europäer an, keinerlei sportliche Aktivität auszuüben. Die Angst vor Sportverletzungen wurde bei diesen Befragungen von immerhin 5 Prozent als Grund für ihre sportliche Inaktivität genannt. Die hohen Gesundheitskosten, die mit einer solchen gesellschaftlichen Unsportlichkeit einhergehen, wurden bereits in zahlreichen Veröffentlichungen belegt [34–36].

Der klare gesundheitliche und auch ökonomische Mehrwert einer sportlichen Gesellschaft, sollte das allgemeine Bestreben in Richtung einer sicheren und nachhaltigen Integration des Sports in die Gesellschaft lenken. Nicht vergessen werden sollte in diesem Zusammenhang auch die Sicherstellung einer adäquaten Verletzungsnachsorge im Sinne einer raschen Rehabilitation und Reintegration in den Sport- und Arbeitsalltag.

Abb. 1: Pferdezügelverletzung

Fall 1: Pferdezügelverletzung (Abb. 1)

Die 29-jährige Patientin erlitt beim Reitsport eine subtotale Avulsionsverletzung des linken Mittelfingers (präoperative konventionelle Röntgenaufnahmen, Abbildung 1A und B). Sie hatte den Pferdezügel um ihren linken Mittelfinger gewickelt, als das Pferd erschrak und den Kopf ruckartig nach hinten riss. Es erfolgte, bei nicht replantierbarem Endglied, eine Stumpfbildung auf Höhe des proximalen Interphalangealgelenks (postoperative konventionelle Röntgenaufnahmen, Abb. 1C und D).

Fall 2: TFCC-Abriss beim Radsport (Abb. 2)

Dieser 37-jährige männliche Patient hatte sich im Rahmen eines Fahrradsturzes einen Abriss des triangulären fibrokartilaginären Komplexes (TFCC) am linken Handgelenk mit konsekutiver Subluxation des Ulnakopfs nach dorsal (Abb. 2C) zugezogen. Die Instabilität des distalen Radioulnargelenks konnte mit einer offenen TFCC-Refixation (Abb. 2A und B) erfolgreich behandelt werden (Abb. 2D).

Abb. 2: TFCC-Abriss beim Radsport

Fall 3: Skaphoidfraktur beim Fußball (Abb. 3)

Der 26-jährige männliche Patient war beim Fußballspielen auf das gestreckte rechte Handgelenk gestürzt und erlitt hierbei eine Skaphoidfraktur Typ B3 nach Herbert, die initial konservativ behandelt wurde. Bei konsekutiver, Computertomografie(CT-)morphologisch nachgewiesener Skaphoidpseudarthrose (Abb. 3A und B) erfolgte die Sekundärzuweisung in unsere Klinik. Erfreulicherweise zeigten sich die Fraktur, ebenso wie das skapholunäre (SL-)Band, intraoperativ stabil, sodass in diesem Fall auf eine Schraubenosteosynthese und/oder Defektauffüllung mittels vaskularisiertem Radiusspan verzichtet werden konnte.

Abb. 3: Skaphoidfraktur beim Fußball

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Dr. med. Dr. med. univ. Viola Stögner

Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie

Medizinische Hochschule Hannover

Carl-Neuberg-Str. 1

30625 Hannover

Department of Surgery

Division of Plastic and Reconstructive Surgery

Yale New Haven Hospital

Yale School of Medicine

New Haven, Connecticut, USA

[email protected]

Dr. med. Benedikt Ritter

Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie

Medizinische Hochschule Hannover

Prof. Dr. med. Peter Maria Vogt

Klinik für Plastische, Ästhetische, Hand- und Wiederherstellungschirurgie

Medizinische Hochschule Hannover

[email protected]

Chirurgie

Stoegner VA, Ritter B, Vogt PM: Handverletzungen im Sport. Passion Chirurgie. 2022 November; 12(11): Artikel 03_02.

Diesen Artikel finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Fachgebiete | Plastische- und Ästhetische Chirurgie.

Passion Chirurgie im Oktober: Endokrine Chirurgie

Hier geht´s zur digitalen Ausgabe! 

Bislang zeigt sich der Herbst in den schönsten Farben und wir hoffen, Sie sind gut für die kommende kalte Zeit gerüstet! Im Fokus steht in diesem Monat das Thema „Endokrine Chirurgie“. Lesen Sie einen Übersichtsartikel zur Endokrinen Chirurgie, einen Beitrag zur aktuellen Diagnostik und Therapie des primären Hyperparathyreoidismus und einen Artikel zu neuen Entwicklungen in der komplexen interdisziplinären Behandlung von endokrinen Malignomen am Beispiel des anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms. Viel Spaß beim Lesen!

Noch wenige Plätze frei! Das BDC-Seminar „Viszeralchirurgie Kompakt: Adipositas- und Metabolische Chirurgie“ findet vom 10. bis 11. November in Frankfurt a.M. statt und vermittelt die wichtigsten chirurgischen Grundlagen der Adipositaschirurgie. In diesem Jahr mit praktischer Übung in Form eines Nahtkurses. Informationen und Anmeldungen finden Sie HIER.

Wenn Sie vom 25. bis 28. Oktober 2022 auf dem DKOU-Kongress in Berlin sind: Wir vom BDC sind an allen vier Kongresstagen mit einem Stand vertreten. Kommen Sie bei uns auf ein Gespräch vorbei, wir freuen uns auf Sie!

Eine schöne Herbstzeit, bleiben Sie gesund
Ihre PASSION CHIRURGIE-Redaktion

Endokrine Viszeralchirurgie

Die Endokrine Chirurgie ist als einer der Schwerpunkte der Allgemein- und Viszeralchirurgie in den meisten entwickelten Ländern seit langem als Subspezialität etabliert. In vielen Ländern, voran den USA, existiert darüber hinaus eine curriculum-basierte, akademische und praktische Weiterbildung, die den Nachwuchs auch in diesem Schwerpunktbereich sichert und den Chirurginnen und Chirurgen eine berufliche Existenzperspektive bietet. In Deutschland sind vergleichbare Strukturen noch immer nicht ausreichend gegeben, obwohl der Bedarf groß ist, wenn man bedenkt, welchen Stellenwert die Endokrine Chirurgie allein auf dem Gebiet der Schilddrüsenchirurgie als einer der häufigsten Eingriffe in der Allgemein- und Viszeralchirurgie einnimmt. Nicht nur wegen ihrer seit über 150 Jahren bestehenden Bedeutung [7] als Keimzelle der Endokrinen Chirurgie ist die Schilddrüsenchirurgie heute vor allem wegen der weltweit teils enormen Zunahme papillärer Karzinome in den interdisziplinären Fokus der Diskussion gerückt [30].

Endokrine Chirurgie als Subspezialität und Kooperationspartner

Endokrine Chirurgie wird vielfach als „Systemchirurgie“, Chirurgie eines hormonproduzierenden Multiorgansystems charakterisiert und wurde daher anfangs auch oft als „endokrinologische Chirurgie“ oder „chirurgische Endokrinologie“ bezeichnet [21], bevor sich die Bezeichnung Endokrine Chirurgie [22] durchsetzte.

Endokrine Viszeralchirurgie umfasst in ihrer Besonderheit gegenüber den anderen viszeralchirurgischen Schwerpunktbereichen allerdings nicht nur hormonaktive, sondern auch hormoninaktive Tumoren, entzündlich-autoimmune Erkrankungen der Schilddrüse mit Unter- und Überfunktion, benigne und maligne Hyper- und Neoplasien, und darüber hinaus die seltenen hereditären Multiorganerkrankungen. Letztere stellen eine besondere chirurgische Herausforderung dar, weil sie in der Diagnostik und Therapie nicht nur sehr spezifische Kenntnisse und Expertise der molekularen Grundlagen und endokrinen Pathophysiologie voraussetzen, sondern auch Detailerfahrungen sowohl der adulten als auch der pädiatrischen chirurgischen Anatomie erfordern. So gehört zum Beispiel auch das operative Management der prophylaktischen Thyreoidektomie im ersten Lebensjahr, Kindes- und Jugendalter [27] bei der Multiplen Endokrinen Neoplasie (MEN) Typ 2A und 2B, aber auch die Entscheidung zu organerhaltenden Operationen der Nebenniere oder des Pankreas zum Spektrum des spezialisierten endokrinen Chirurgen [3; 6].

Der Herausgeber des ersten „Leitfadens“ zur Endokrinen Chirurgie in Deutschland [22], Hans-Dietrich Röher, nannte ihn im Vorwort des 1987 erschienenen Buches sehr bescheiden eine „praxisorientierte Informationsquelle für die tägliche ärztliche Entscheidung“, obwohl es tatsächlich das erste überhaupt in Deutschland publizierte Lehrbuch zu einem ganz neuen chirurgischen Schwerpunkt darstellte. Es beschrieb in sehr klarer und umfassender Weise bereits das gesamte Aufgabengebiet der Endokrinen Viszeralchirurgie: die Chirurgie gut- und bösartiger Schilddrüsenerkrankungen, des primären und sekundären Hyperparathyreoidismus, der Tumoren der Nebennierenrinde, des Nebennierenmarks und der neuroendokrinen Tumoren des gastroenteropankreatischen Systems, sowie der Multiplen Endokrinen Neoplasie-Syndrome Typ 1 und Typ 2.

Die enormen Entwicklungen des Schwerpunktes, einschließlich der an die Endokrine Chirurgie angrenzenden Disziplinen der Molekulargenetik und -pathologie, der Endokrinologie, Nuklearmedizin, Radiologie und Onkologie, aber auch der Chirurgie selbst haben vor allem im Ausland, zunehmend aber auch in Deutschland dazu geführt, dass sich Kliniken und Chirurgen auf den zahlenmäßig umfangreichsten Bereich der Endokrinen Hals- und Mediastinalchirurgie konzentrierten. Parallel zu dieser Entwicklung haben in steigender Zahl nicht nur im Ausland auch andere operative Fachgebiete in den universitären und nichtuniversitären Kliniken begonnen, an der Versorgung endokrin-chirurgischer Patienten zu partizipieren, zum Beispiel Urologen an der Nebennierenchirurgie und Hals-Nasen-Ohren-Chirurgen an der Schilddrüsenchirurgie. Dies ist eine Entwicklung, auf die die viszeralchirurgische Endokrine Chirurgie am besten durch strukturierte chirurgische Spezialisierung in unter endokrin-chirurgischer Leitung stehenden Abteilungen und verstärkt enger Kooperation mit den bereits traditionell verbundenen Fachgebieten insbesondere der Endokrinologie, Nuklearmedizin und Pathologie reagiert.

Auch für die Endokrinchirurgie gilt die Formel: „Practice makes perfect“ [1; 2; 5; 17; 18]. Für die konkurrenzaktive Gegenwart und Zukunft in Deutschland ist jedoch über das reine Versorgungsvolumen einzelner Kliniken und Chirurgen hinaus entscheidend, die akademisch-forscherische Sichtbarkeit und Leadership forciert weiterzuentwickeln und zugleich die Grundlagen für eine curricular-basierte Ausbildung in der viszeralchirurgischen Endokrinchirurgie zu legen [14; 19]. Gerade auf dem Gebiet der quantitativ im Vordergrund stehenden Schilddrüsenchirurgie, insbesondere derjenigen der Schilddrüsenkarzinome, ist es in den zurückliegenden zwei Jahrzehnten zu einer enormen Dynamik gekommen, die nicht nur die Molekulargenetik und -pathologie, sondern auch die endokrinologische und nuklearmedizinische Onkologie tiefgreifend erfasst hat. Dazu kommen neue chirurgische Konzepte, wie zum Beispiel der Hemithyreoidektomie [10] bei der zunehmenden Zahl an differenzierten Niedrigrisikokarzinomen, die chirurgisch geprüft und interdisziplinär wissenschaftlich evaluiert werden müssen.

Die Nuklearmedizin betreffend hat die PET-Technik erheblichen Einfluss auf den Rezidivnachweis insbesondere der differenzierten Schilddrüsenkarzinome, damit ihrer reoperativen Behandlung gewonnen. In der endokrinologischen Onkologie sind infolge neuer Therapiekonzepte bei radiojodrefraktären Schilddrüsenkarzinomrezidiven früher nicht gegebene Therapiemöglichkeiten hinzugekommen, Entwicklungen insgesamt, die heute am besten in zertifiziert spezialisierten Tumorboards eine individualisierte Behandlung möglich machen. „Chirurgie in Partnerschaft“, Motto des 2012 vom Präsidenten Prof. Markus Büchler geleiteten 129. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Chirurgie, bedeutet, dass auch die Endokrine Chirurgie, wie die anderen Schwerpunkte der Chirurgie, nicht allein Dienstleister ist, sondern aktiv gestaltender Kooperationspartner im Konzert der an der Behandlung und Ergebnisevaluation beteiligten Disziplinen.

Reoperationen waren und sind ein besonderes Kerngebiet jedes erfahrenen und spezialisierten Chirurgen. Während Reoperationen in der Endokrinchirurgie früher vornehmlich „Struma“rezidive, in seltenen Fällen auch primär erfolglose Nebenschilddrüsenoperationen betrafen, sind es heute vor allem die Reeingriffe bei Schilddrüsenkarzinomen, die, auf das endokrinchirurgische Gesamtkrankengut bezogen, mittlerweile in spezialisierten Endokrinen Chirurgien einen nicht unerheblichen Anteil der täglichen Versorgung betreffen. Die Ende der 1980er-Jahre erfolgte Einführung der Mikrodissektion [4] und später des routinemäßigen intermittierenden (1997) und kontinuierlichen (2011) Neuromonitorings [9; 20] haben in Verbindung mit der weiteren Spezialisierung zwar wesentlich dazu beigetragen, dass sich zum einen die früher nicht selten hohen Komplikationsraten bei Reoperationen heute denjenigen bei Primäreingriffen angenähert haben [5; 11; 26]. Zum anderen sind dadurch bilaterale Stimmlippenlähmungen erfreulicherweise durch weitgehende Akzeptanz des „unilateral first approaches“ (Beendigung der OP bei Recurrensparese mit Signalausfall im intraoperativen Neuromonitoring auf der erstoperierten Seite) bei benigner Struma [8; 24] eine Rarität geworden. Die anhaltend in spezialisierten Zentren zunehmend zu verzeichnenden Fallzahlen von Operationen wegen zervikaler Rezidive bei Schilddrüsenkarzinomen weisen allerdings gleichermaßen darauf hin, dass nicht nur am Ende des chirurgischen Behandlungspfades ein Benchmarking bei der Qualitätssicherung erforderlich ist, sondern bereits zu Beginn. Mit anderen Worten: Schon bei der Weiterbildung zum endokrinen Viszeralchirurgen sind nachhaltige strukturelle Anstrengungen von Nöten, um die Behandlungsqualität zu verbessern.

Auch wenn in vielen, insbesondere asiatischen Ländern die Endokrine Chirurgie mittlerweile nicht mehr als Ganzes, das heißt als Endokrine Chirurgie der anatomischen Regionen des Zervikomediastinums, Abdomens und Retroperitoneums vertreten wird, spricht vieles dafür, das ganzheitliche Konzept der in die Viszeralchirurgie eingebetteten Endokrinen Chirurgie nicht aufzugeben [12].

Neben der technischen Expertise erfordert die operative Versorgung der hormonproduzierenden und hormoninaktiven viszeralen endokrinen Tumoren des Pankreas, der Nebenniere und des Darms eine profunde Kenntnis der zugrundeliegenden Erkrankung, ihrer genetischen Ursachen und der diagnostischen wie therapeutischen Maßnahmen, die sich von den Algorithmen bei Malignomen epithelialer Herkunft fundamental unterscheiden. Die Empfehlung der European Neuroendocrine Tumor Society (ENETS), der europäischen Fachgesellschaft, eines offenen operativen Vorgehens bei den Neuroendokrinen Tumoren des Darms und der Resektion des Dünndarmprimarius auch im metastasierten Stadium (Ileus-prophylaktische Operation) ist ein etabliertes Konzept [29]. Auch andere Entwicklungen, wie die organerhaltende Operation der Nebenniere [3] oder die gefäßsparende Resektion der Neuroendokrinen Tumoren des Dünndarms [16], kamen auf Basis einer umfassenden Spezialisierung in der Endokrinen Chirurgie zustande. Ähnlich wurden die operativen Verfahren bei den endokrinen Tumoren des Pankreas, wie beim Zollinger-Ellison Syndrom oder bei den Inselzell-Tumoren, maßgeblich durch endokrine Chirurgen entwickelt, die ihre Kenntnisse von den Besonderheiten endokriner Tumore in operative Strategien umsetzen konnten [13; 28].

Nationale und internationale Fachgesellschaften

Vor genau 40 Jahren, 1982, wurde in Marburg unter der Federführung von Hans-Dietrich Röher die Chirurgische Arbeitsgemeinschaft Endokrinologie (CAEK) als erste deutschsprachige fachgesellschaftlich organisierte Plattform für endokrinchirurgisch tätige und interessierte Chirurgen gegründet. In dem 1983 nach dem Gründungssymposium erschienenen, von Hans-Dietrich Röher und Robert Arnulf Wahl herausgegebenen Kongressbüchlein, wurde im Vorwort die Gründungshistorie folgendermaßen beschrieben [21]:

„Dieses Symposium und die veranstaltende Gruppe haben verschiedene Wurzeln. Kümmerle veranstaltete bereits 1977 und 1980 in Mainz endokrinologisch-chirurgische Symposien und wies im Vorwort zum letzten Sammelband „Fortschritte der endokrinologischen Chirurgie“ (1980) auf die sich damals abzeichnende Entwicklung hin. Nachdem sich 1979 anlässlich des Kongresses der Société Internationale de Chirurgie in San Francisco noch auf Initiative des zu früh verstorbenen schwedischen, aus Deutschland stammenden Kollegen Peter Heimann, und unter dem ersten Präsidenten S. Taylor, London, die International Association of Endocrine Surgeons (IAES) formierte und erstmalig mit einem eigenen Programm hervortrat, hat 1982 auch die Deutsche Gesellschaft für Chirurgie eine eigene Arbeitsgemeinschaft für dieses zunehmend anspruchsvolle Spezialgebiet ins Leben gerufen.“

1979 wurde während des Kongresses der International Society of Surgeons (ISS, Société Internationale de Chirurgie) nach der IAES (23) auch die erste unabhängige kontinentale Fachgesellschaft für Endokrine Chirurgie gegründet: die American Association of Endocrine Surgeons (AAES), heute eine internationale Fachgesellschaft mit über 600 Mitgliedern aus 30 Ländern. Gründungsväter waren Orlo Clark, Tony Edis, Edward Kaplan, Jack Monchik und Norman Thompson. Dies waren Chirurgen, die basierend auf ihrer persönlichen Expertise und frühen Kooperation mit endokrinologisch tätigen Klinikern und Grundlagenwissenschaftlern in den Folgejahren die fachlichen Voraussetzungen einer klinisch-praktischen, auf den Ergebnissen der translationalen Medizin beruhenden evidenz-basierten Endokrinen Chirurgie schufen.

2004 wurde von Henning Dralle, Bruno Niederle, und Paolo Miccoli die European Society of Endocrine Surgeons (ESES) und 2006 von Henning Dralle und Gregory W. Randolph die International Nerve Monitoring Study Group (INMSG) gegründet. Die ESES veranstaltet zweijährliche internationale Kongresse und in den Zwischenjahren internationale, einem bestimmten Thema der Endokrinen Chirurgie gewidmete Workshops, deren Ergebnisse im Langenbecks Archives of Surgery publiziert werden. Die INMSG hat zuerst 2011 [20], dann in den Folgejahren mehrere Konsensusempfehlungen zur Theorie und Praxis des Neuromonitorings in der Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenchirurgie veröffentlicht.

Zertifizierung

Seit dem Jahr 2011 ist durch die Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV) eine jeweils für drei Jahre gültige Zertifizierung als Zentrum für Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenchirurgie oder für Endokrine Chirurgie möglich. Im Juli 2022 waren 22 Zentren als Kompetenzzentren und neun Zentren als Referenzzentren für Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenchirurgie zertifiziert. Zertifizierte Zentren für Endokrine Chirurgie, die auch Operationen von Nebennieren und neuroendokrinen Tumoren beinhalten, sind derzeit drei Kliniken. Eine Zertifizierung als Exzellenzzentrum für Endokrine Chirurgie ist möglich, wurde bislang jedoch noch nicht vergeben.

Das Erreichen einer DGAV-Zertifizierung ist für die zu zertifizierenden Kliniken mit einer Vielzahl von in der Zertifizierungsordnung 6.0 (Version vom 01.01.2021) zu erfüllenden Vorgaben verbunden. Diese orientieren sich sowohl an der Ausstattung der Kliniken (zum Beispiel dem Neuromonitoring, dem intraoperativen Gefrierschnitt), der Anzahl und Ausbildung der verantwortlichen Chirurgen, definierten operativen Eingriffszahlen und deren Komplikationsraten, einer Datendokumentation im StuDoQ-Register und eines eintägigen Audits. Um die Expertise der Chirurgen zu dokumentieren, die die endokrin-chirurgischen Eingriffe durchführen, wurde in der aktuellen Zertifizierungsordnung im Gegensatz zu früheren Versionen die Anzahl der erforderlichen Operationen pro Operateur vorgegeben.

Trotz eines Urteils des Bundesgerichtshofs vom 18.01.2012 (Az.: I ZR 104/10), das ausführt, der Begriff „Zentrum“ deute im stationären Bereich auf eine hochspezialisierte Abteilung hin, „deren Fachkompetenz und Erfahrung erheblich über dem Durchschnitt liege“, wird dieser Begriff heute auf zahlreichen Klinikwebseiten in geradezu inflationärer Weise verwendet. Da der Begriff „Zentrum“, entsprechend einer Veröffentlichung der Bundesärztekammer im Jahr 2015 nicht grundsätzlich geschützt ist und viele Kliniken unter einem nicht unerheblichen wirtschaftlichen Druck stehen, finden sich mehr oder weniger fantasievolle Eigenkreationen für Zentrumsnamen, entworfen von Marketingabteilungen, inzwischen auf zahlreichen Klinikwebseiten. Hinzu kommen Anbieter, die eine Beteiligung an Netzwerken zum Beispiel für Schilddrüsenchirurgie und den Begriff eines Zentrums gegen einen höheren vierstelligen Eurobetrag pro Jahr verkaufen.

Selbst angesehene Chirurgen haben im Jahr 2022 keine Bedenken, ihre Kliniken als Zentren für Endokrine Chirurgie, Schilddrüsenchirurgie oder Schilddrüsenkarzinome auf einer Webseite zu bezeichnen, selbst wenn dort pro Jahr weniger als 20 Schilddrüsenoperation stattfinden. Patienten, die sich zunehmend online über Behandlungsmöglichkeiten informieren und den Begriff eines Zentrums mit Kompetenz, Vertrauenswürdigkeit und der Hoffnung auf eine erfolgreiche Behandlung in Verbindung bringen, werden dadurch bewusst getäuscht. Engagierte Chirurgen, die ihre Möglichkeiten kennen und ihre Patienten bestmöglich behandeln wollen, sollten einen Behandlungsauftrag und das Vertrauen, das ihnen Menschen in einer für sie nur schwer einzuordnenden Situation entgegenbringen, nicht auf dem Boden des Tatbestands der irreführenden Werbung verspielen.

Register

Mit dem Ziel einer multizentrischen Dokumentation und Auswertung der Ergebnisse der Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenchirurgie wurde im Jahr 2004 das Scandinavian Quality Registry for Thyroid, Parathyroid and Adrenal Surgery (SQRTPA) gegründet, in dem in Schweden seit 2008 aktuell 85 bis 90 Prozent der Eingriffe der genannten Organe erfasst werden. Weitere Register wurden in Großbritannien (UKRETS), in den USA (CESQIP) und in Deutschland (StuDoQ) etabliert (Tab. 1). Im StuDoQ-Register Schilddrüse und Nebenschilddrüse wurden von 2017 bis 2020 55.300 Patienten dokumentiert. Dies entspricht 19 Prozent aller in diesem Zeitraum erfolgten 294.534 Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenoperationen in Deutschland (www.destatis.de).

Tab. 1: Multizentrische Register zur Erfassung endokrin-chirurgischer Operationen

Name

Länder

Start

Kliniken (n)

Zeitraum

Fälle (n)

Erkrankungen

SQRTPA

Schweden

2008

37

2008-2021

21.500

SD, NSD, NN

UKRETS

Großbritannien

2010

292*

2016-2020

46.690

SD, NSD, NN

CESQIP

USA

2014

56

2014-07/2022

63.847

SD, NSD, NN

EUROCRINE

18 europ. Länder und UAE**

2015

111

2015-07/2022

117.989

SD, NSD, NN, NET

StuDoQ

Deutschland, Österreich

2017

>80

2017-10/2021

76.434

SD, NSD

* Chirurgen (consultants), ** Vereinigte Arabische Emirate; Stand 05.08.2022

Im Vergleich zu den bisherigen Datenerfassungen der Krebsregister oder auch des wissenschaftlichen Instituts der AOK [17; 18], bieten die nun vorliegenden Qualitätsregister die Möglichkeit der Dokumentation einer Vielzahl von Items, die vor allem prä-, intra- und postoperativ chirurgische Aspekte und Fragestellungen detailliert beantworten können. Dies ermöglicht einerseits multizentrische Analysen großer Fallserien in einem umschrieben kurzen Zeitraum, zum Beispiel zur Bewertung diagnostischer Maßnahmen wie der präoperativen Kalzitoninbestimmung vor Schilddrüsenoperationen bei 29.590 Patienten [31] oder der Lokalisation von hyperfunktionellen Nebenschilddrüsen mittels 4D-CT bei 1.630 Patienten mit primärem Hyperparathyreoidismus [15]. Anderseits können bei entsprechend langer Verlaufsbeobachtung auch Erkenntnisse über die Effektivität einer Therapie, wie zum Beispiel der Lymphknotendissektion beim papillären oder medullären Schilddrüsenkarzinom gewonnen werden, während Krebsregister nur Geschlecht, Alter und Überleben, in manchen Bundesländern sogar unabhängig von der Entität der Schilddrüsenkrebserkrankung, beschreiben.

Gleichermaßen gilt für alle Register, dass die Datenqualität von der Sorgfalt der Eingabe und der Bereitschaft zu einer schonungslos offenen Dokumentation, auch im Falle von Komplikationen, abhängt. Ein regelmäßiges Monitoring zur Überprüfung der Qualität der Daten im Sinne einer Vermeidung zufälliger oder auch systematischer Fehler ist daher unerlässlich. Ob diese Überprüfung nur anhand der erhobenen Daten ausreichend ist oder eine Auditierung exaktere Ergebnisse liefert, ist derzeit zumindest für das StuDoQ-Register noch nicht abschließend geklärt.

Uneinheitlich ist auch die Finanzierung der verschiedenen Register, die teils – wie in den USA – über die teilnehmenden Chirurgen/Kliniken, wie in Deutschland oder Schweden über chirurgische oder staatliche Institutionen, oder wie in Großbritannien über die Industrie erfolgt. Das europäische EUROCRINE-Register wurde initial über Forschungsmittel der EU finanziert.

Für alle teilnehmenden Kliniken ist ein verantwortungsvoller Umgang mit den erhobenen Daten unter Einhaltung aller Bestimmungen des jeweils gültigen Datenschutzes unbedingt zu gewährleisten.

Ausblick

Die Endokrine Viszeralchirurgie blickt auf eine jetzt über 40-jährige Geschichte zurück: Mit der 1979 erfolgten Gründung der International Association of Endocrine Surgeons (IAES) avancierte das Gebiet von einer seit Beginn der klassischen Chirurgie in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts bis weit in die Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg reichenden Chirurgie einzelner endokriner Organe zu einem klar umrissenen Schwerpunkt innerhalb der Allgemein-/Viszeralchirurgie.

Bezogen auf die anderen viszeralchirurgischen Schwerpunktbereiche, deren chirurgisch-anatomischer Fokus ausschließlich im Abdomen liegt, ist die Endokrine Viszeralchirurgie aus Gründen der Erkrankungshäufigkeit je nach Spezialisierungskonzept zu 90 bis 100 Prozent im Halsbereich lokalisiert. Die Chirurgie dieses Bereiches erfordert besondere anatomische und erkrankungsbezogene Kenntnisse. Auch ihre Qualitätskontrolle unterscheidet sich grundlegend von derjenigen des Abdomens. So lassen zum Beispiel die beiden Hauptkomplikationen von Operationen im zentralen Halsbereich, Stimmlippenparese und Hypoparathyreoidismus, postoperativ hinsichtlich ihrer Reversibilität oder ihres Fortbestehens erst nach frühestens sechs Monaten [25] eine definitive Aussage zu. Studien einschließlich Register, die diese Mindestvoraussetzung nicht erfüllen, sind aufgrund der relativ hohen Frequenz passagerer Funktionsstörungen daher für eine „real live“-Beurteilung wenig geeignet.

Die sich für die praktische und akademische Endokrine Viszeralchirurgie heute und für die nächste Zukunft ergebenden Ziele können in folgenden Thesen zusammengefasst werden:

1. Etablierung eines endokrinchirurgischen Curriculums

Die von Patienten ebenso wie nichtoperativen Kooperationspartnern an den endokrinen Viszeralchirurgen gestellten Erwartungen und Anforderungen gehen heute erheblich über das hinaus, was durch die Weiterbildungsordnungen an Rüstzeug auf chirurgisch-technischem, (patho-)physiologischem, pathologisch-anatomischem, nuklearmedizinischem und endokrinologischem Gebiet zur qualifizierten Patientenversorgung erforderlich ist. Zur Behebung des Ausbildungsdefizits ist nicht ausreichend, die Operationszahlen in den Weiterbildungskatalogen zu erhöhen, da diesen ohnehin schon enge Grenzen gesetzt sind. Notwendig ist die Etablierung eines strukturierten Curriculums, das wie auch in anderen Ländern am besten im Rahmen einer Subspezialisierung, zum Beispiel nach dem Konzept der Division of Endocrine Surgery der UEMS umzusetzen ist.

2. Verbesserung der Weiterbildung in der komplexen Zervikomediastinalchirurgie

Wie sich anhand der in endokrinchirurgischen Abteilungen gestiegenen Operationszahlen onkologischer Reeingriffe zeigt, besteht ein signifikantes Defizit in der viszeralendokrinen Kompartmenttechnik des zentralen und lateralen Halsbereiches sowie Mediastinums. Die Hinzuziehung anderer operativer Disziplinen kann im Einzelfall berechtigt sein, lässt aber gleichzeitig auch deren Interesse an einer „freundlichen Übernahme“ wachsen.

3. Sicherung der retroperitonealen und abdominell endokrinen Viszeralchirurgie als unverzichtbarer Bestandteil der Endokrinen Chirurgie

Die Endokrine Chirurgie nicht nur der minimalinvasiven Chirurgie benigner Nebennie­rentumoren, sondern auch der abdominell-retroperitonealen Paragangliome, und insbesondere die Chirurgie der sporadischen und hereditären gastroenteropankreatischen neuroendokrinen Tumoren liegt im Zentrum unseres viszeralonkologischen Fachgebietes und ist damit unverzichtbarer Bestandteil der endokrinen Chirurgie.

4. Schaffung eigenständig-unabhängiger Abteilungsstrukturen als notwendige Voraussetzung zur Weiterentwicklung der Endokrinen Viszeralchirurgie

Die Endokrine Chirurgie hat sich in den zurückliegenden 40 Jahren weltweit als eigenständiges Gebiet der Viszeralchirurgie entwickelt. Nationale und internationale Fachgesellschaften und Arbeitsgemeinschaften vertreten das Gebiet nach innen und außen. Die meisten vergleichbaren Länder verfügen innerhalb der Chirurgischen Departments seit langem über entsprechende Abteilungsstrukturen, die in der Lage sind, nachhaltige Ausbildungsvoraussetzungen in der Endokrinen Viszeralchirurgie zu schaffen, und dem chirurgischen Nachwuchs Perspektiven zu bieten. Nationale Zertifizierungen und Register können zur Verbesserung der Behandlungsqualität beitragen, jedoch nicht eine von Beginn an spezialisierte Weiterbildung ersetzen.

5. Forcierte Bildung akademisch-universitärer Zentren für Endokrine Viszeralmedizin

Nicht nur für den endokrinchirurgischen Nachwuchs, auch für die gebietsbezogene Forschung als Keimzelle und Kristallisationspunkt der Entwicklung neuer Methoden und Techniken sind die universitären Zentren eine unabdingbare Voraussetzung. Gerade auf dem Gebiet der endokrinonkologischen Viszeralmedizin vollzieht sich derzeit ein gravierender dynamischer Wandel, in dem der Chirurgie eine zentrale Rolle und Bedeutung zukommt. Nur durch praxisrelevante Forschung können die chirurgischen Konzepte in Behandlungsempfehlungen und Leitlinien überzeugend eingebracht werden. Die Universitätskliniken in Deutschland sollten daher zur Schaffung eines qualifizierten Nachwuchses und besseren Sichtbarkeit ihre Möglichkeiten zur Schaffung profilbildender Strukturen noch wesentlich forcierter nutzen als bislang.

Literatur

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BDC|Akademie

Facharztseminar Allgemein- und Viszeralchirurgie

Dieses traditionelle Berliner BDC-Seminar zur Vorbereitung auf die Facharztprüfung ist das älteste seiner Art in Deutschland und findet seit 1990 statt. Ziel war es und ist es, ein komprimiertes und intensives Repetitorium anzubieten, das umfassend die Inhalte der Weiterbildungsordnung Viszeralchirurgie und Allgemeinchirurgie in Form eines „Crash-Kurses“ darstellt. Es soll aber auch als „Update“ dienen und einen aktuellen und fundierten Überblick über das Gebiet der Allgemein- und Viszeralchirurgie geben. So ist das Seminar zur Vorbereitung auf die Facharztprüfung geeignet, gleichermaßen aber auch als „Refresherkurs“ für gestandene Fachärzte.

Facharztseminar Allgemein- und Viszeralchirurgie in Berlin
Prof. Dr. med. Thomas Steinmüller
13.03. bis 17.03.2023

Informationen & Anmeldung…

Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. med. Dr. h.c. mult. Henning Dralle, FRCS, FACS, FEBS

Leiter Sektion Endokrine Chirurgie

Klinik für Allgemein,- Viszeral- und Transplantationschirurgie

Universitätsmedizin Essen

[email protected]

Prof. Dr. med. Theresia Weber, FEBS

Chefärztin

Klinik für Endokrine Chirurgie

Referenzzentrum für Schilddrüsen- und Nebenschilddrüsenchirurgie

Marienhaus Klinikum

[email protected]

Prof. Dr. med. Frank Weber

Stellvertretender Leiter Sektion Endokrine Chirurgie

Klinik für Allgemein,- Viszeral- und Transplantationschirurgie

Universitätsmedizin Essen

[email protected]

Chirurgie

Henning Dralle; Theresia Weber; Frank Weber Endokrine Viszeralchirurgie. Passion Chirurgie. 2020 Oktober; 12(10): Artikel 03_01.

Diesen Artikel finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Fachgebiete | Viszeralchirurgie.

Mein PJ-Tertial im ambulanten Versorgungsbereich

Schon länger stand die Allgemeinmedizin für meinen späteren Berufswunsch in der engeren Auswahl. Nach und nach verfestigte sich die Tendenz durch mehrere Famulaturen. Im 10. Semester werden alle Studenten der Universität Rostock auf allgemeinmedizinische Praxen in ganz Mecklenburg-Vorpommern verteilt. Manchmal passt die Zuteilung örtlich und menschlich sehr gut.

Nach meinem zweiwöchigen Blockpraktikum bewarb ich mich auf eine Stelle in der CHIRURGISCHEN PRAXISKLINIK Schwerin Mitte zum ersten Abschnitt meines PJs. Die Anmeldung erfolgte dreifach: auf der Internetseite PJ-Portal, in Absprache mit der Fakultät für Allgemeinmedizin und in der Praxis. Seit 2006 bietet die Fakultät für Allgemeinmedizin die Möglichkeit für ein Tertial im ambulanten Versorgungsbereich. Letztendlich war der Prozess von der Bewerbung bis zur Zusage schnell und unproblematisch.

Da Mecklenburg-Vorpommern in bestimmten Regionen unter einem Ärztemangel leidet, sollen Niederlassungen auf dem Land gestärkt werden. Die Unterstützung der PJler erfolgt über die Kassenärztliche Vereinigung Mecklenburg-Vorpommern (KVMV) und muss durch den Lehrarzt vor Beginn der Praktikumszeit beantragt werden. Die KVMV fördert ein Tertial mit bis zu 1000 Euro im Monat. Dieser Betrag setzt sich aus 200 Euro Basisforderung und 800 Euro Lenkungszuschlag zusammen, wenn der Ausbildungsplatz außerhalb einer Universitätsstadt liegt. In Mecklenburg-Vorpommern sind nur Rostock und Greifswald Universitätsstädte. Schwerin als Landeshauptstadt und Sitz der Lehrklinik der MSH Medical School Hamburg wird der Provinz zugeordnet. Der Lenkungszuschlag existiert seit dem 01. April 2019.

Neben den finanziellen Aspekten konnte ich bei der Ausbildung in der Praxisklinik von folgenden Vorteilen profitieren: Weil die Lehre dort einen hohen Stellenwert hat – auf einen Studenten kommen bis zu drei Fachärzte – war für mich ein sehr kompaktes, direktes und ganzheitliches Lernen möglich. Beispielsweise wurde ein Röntgenbild vom Thorax angefertigt und anschließend unter der Aufsicht einer Allgemeinmedizinerin und eines Chirurgen durch mich ausgewertet. Die Verbesserungsvorschläge oder Anmerkungen kamen direkt und freundlich von zwei Fachärzten. In manchen Kliniken bleibt die Rückmeldung ja auch schon mal aus oder erfolgt durch einen Assistenzarzt. Auch aufgrund des guten Personalschlüssels konnten mich die MFAs sehr ausführlich in verschiedene Prozesse einweisen. Dies beinhaltete

  • die Bedienung des Röntgengerätes und das Erstellen verschiedener Röntgenaufnahmen,
  • das Anlegen und Schreiben des EKGs,
  • die Durchführung von Lungenfunktionstests,
  • die Anwendung apparativer Gefäßdiagnostik,
  • hygienisches Arbeiten,
  • und Blutentnahmen.

An Operationstagen erschlossen sich mir noch viele weitere Felder, zum Beispiel das sterile Anreichen oder die Bedienung verschiedener Geräte. Insgesamt konnte ich jeden Schritt von der Aufnahme neuer Patienten über die Diagnostik, eine eventuelle OP-Vorbereitung, die Operation, bis hin zur Nachbereitung und Nachsorge sowohl aus ärztlicher als auch pflegerischer Sicht miterleben.

Persönlich würde ich jedem PJler auch ein Tertial im ambulanten Bereich empfehlen, denn hier kann man – nach meiner Erfahrung in noch höherem Maß als auf einer großen Klinikstation – sehr viele individuelle und detaillierte Erfahrungen machen. Zusätzlich ist der intensive Patientenkontakt vor, während und nach der Behandlung sowohl für das Verständnis des Ablaufs als auch des Ergebnisses förderlich. Auf der anderen Seite gibt es in Kliniken mehr Möglichkeiten, Diagnose- und Therapiemöglichkeiten für schwerere Krankheitsbilder kennenzulernen und darin Erfahrungen zu sammeln. Somit ergänzt sich ein Aufenthalt in einer Praxisklinik oder Ambulanz sehr gut mit dem in einer Klinik. Beide sind wertvolle Teile der Gesamtausbildung.

PJ-Leitfaden

Das Praktische Jahr hat einen großen Einfluss auf die spätere Berufswahl der jungen Ärzteschaft. Die Erfahrungen im PJ können anziehen, aber auch abstoßen. Eine gute Ausbildungsqualität im chirurgischen Tertial steigert nicht nur die Attraktivität des Fachs, sondern auch das Image Ihrer Klinik.

Um interessierten Kliniken bei der Verbesserung der chirurgischen Ausbildung im Praktischen Jahr eine einfache Unterstützung anbieten zu können, hat der BDC gemeinsam mit der bvmd einen am klinischen Alltag orientierten Leitfaden „Chirurgischen Nachwuchs gewinnen und halten. Leitfaden für das Praktische Jahr“, ein daran angelehntes Stationsplakat sowie einige Musterdokumente (Ablaufplan im PJ und PJ Evaluation) entwickelt.

Der neue Leitfaden richtet sich an alle klinikseitig an der Ausbildung und Betreuung von PJ-Studierenden beteiligten Mitarbeiter:innen. Neben der chirurgischen Profession selbst sind ebenso die an der organisatorischen Durchführung beteiligten Bereiche der Verwaltung.

HIER finden Sie den PJ-Leitfaden zum Nachlesen und Weitergeben.

Moritz Einar Friedrich

Am Kabutzenhof 20

18057 Rostock

[email protected]

Chirurgie+

Friedrich ME: Mein PJ-Tertial im ambulanten Versorgungsbereich. Passion Chirurgie. 2020 Oktober; 12(10): Artikel 04_02.

Diesen Artikel finden Sie auf BDC|Online (www.bdc.de) unter der Rubrik Wissen | Aus-, Weiter- und Fortbildung.

Neue Therapiekonzepte in der endokrinen Chirurgie am Beispiel des anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms

Einleitung

Das anaplastische Schilddrüsenkarzinom (ATC) ist mit einer Inzidenz von 1–2 Patienten pro Million Einwohner und Jahr das seltenste Schilddrüsenmalignom, stellt jedoch eine sehr aggressive Tumorentität mit einer Mortalität von bis zu 100 % dar (1). Verfügbare retrospektive Daten zeigen eine schlechte Prognose mit einem medianen Gesamtüberleben nach Erstdiagnose von 3–6 Monaten und einem medianen 1-Jahres-Überleben von etwa 20 % (1-3).

Im ATC-Stadium IVA und resektablen Stadium IVB ist die primäre Operation mit dem Ziel einer R0- oder R1-Resektion die Therapie der Wahl, häufig gefolgt von Bestrahlung in Kombination mit einer Chemotherapie oder im Rahmen klinischer Studien einer zielgerichteten Therapie je nach Tumorgenetik [1, 3]. Im initial nicht-resektablen Stadium IVB und im metastasierten Stadium IVC wird die frühzeitige Einleitung einer Chemotherapie mit Anthrazyklinen, Taxanen und Platin vorgeschlagen. Diverse experimentelle Arbeiten haben gezeigt, dass ATC ein bestimmtes Mutationsprofil aufweisen und daher ATC-Zellen auf eine zielgerichtete Therapie ansprechen können (64-6). Diese zielgerichtete Therapie wurde bisher vor allem in der palliativen Situation oder auch adjuvant nach Resektion eingesetzt [1, 7, 8].

Basierend auf diesen experimentellen Ergebnissen und ersten klinischen Erfahrungen kam die Idee auf, eine zielgerichtete, mutationsbasierte Therapie neoadjuvant beim ATC im Stadium IVB oder C anzuwenden, um eine Resektion des Primärtumors und ggf. seiner Metastasen zu erreichen. Einzelne kleine Fallserien unterstützen diese Hypothese [9–11]. Unsere hier vorgestellten Ergebnisse wie die anderer Gruppen [9–11] zeigen, dass eine „neoadjuvante“ BRAF-gerichtete Therapie bzw. im Fall eines nicht-BRAF-mutierten ATC einer mKI/Checkpoint-Inhibitor-Kombination eine Resektion des Tumors bei initial lokal fortgeschrittenem ATC ermöglichen kann, damit die lokale Tumorkontrolle optimiert und möglicherweise auch Überleben verlängert.

Nachfolgend berichten wir über die Ergebnisse einer erfolgreichen zeitlich begrenzten, mutationsbasierten, off-label, neoadjuvanten Behandlung bei drei ATC-Patienten im Stadium IVB und C.

Methodik

Bei klinischem Verdacht auf das Vorliegen eines ATC ist die erste diagnostische Maßnahme an unserer Klinik eine Stanzbiopsie, um so schnell wie möglich mit der Immunhistochemie (IHC) und der molekulargenetischen Analyse zu beginnen. Die zytologische Diagnose eines ATC durch Feinnadelaspirationzytologie kann schwierig sein [12]. Es werden schilddrüsenspezifische Proteine wie Thyreoglobulin (Tg) und der Schilddrüsen-Transkriptionsfaktor 1 (TTF-1) bestimmt. Im Allgemeinen fehlen sie beim ATC, was die undifferenzierte Natur des Tumors widerspiegelt. PAX-8-Expression wird bestimmt zur Differenzierung von undifferenzierten Sarkomen oder Plattenepithelkarzinomen. Die Zellproliferation wird durch Ki-67 bewertet. Der Verlust der p53-Tumorsuppressorfunktion durch somatische Mutation von TP53 wird als typisch für ein ATC und zur Abgrenzung zum schlecht differenzierten Schilddrüsenkarzinom (PDTC) gewertet. Der BRAF-Mutationsstatus wird ebenso wie die Mutation in Genen der RAS-Familie durch Molekularanalyse bestimmt. Die PD-L1-Expression wird gemessen, um die Möglichkeit einer Checkpoint-Inhibition zu klären.

Parallel werden bildgebende Verfahren durchgeführt. Das radiologische Tumorstaging erfolgt mittels MRT des Halses zur Beurteilung der lokalen Situation und einem 18F-FDG-PET/CT zum Nachweis bzw. Ausschluss einer Fernmetastasierung. Ösophagoskopie und Tracheoskopie werden durchgeführt, um ein potenzielles intraluminales Tumorwachstum zu nachzuweisen. Eine präoperative Laryngoskopie beurteilt die Stimmbandbeweglichkeit.

Sobald die Ergebnisse der Immunhistochemie und der Mutationsanalysen vorliegen, werden alle Patienten mit ATC in einer interdisziplinären Tumorkonferenz mit Fokus auf den klinischen Zustand und Komorbiditäten besprochen. Die Patienten werden ausführlich im interdisziplinären Tumorboard diskutiert und bei bisher drei Patienten die Entscheidung zur „neoadjuvanten“ zielgerichteten Therapie im Konsens getroffen. Die Patienten wurden anschließend über dies Möglichkeit dieser zulassungsüberschreitenden Therapie aufgeklärt und deren schriftliche Zustimmung eingeholt. Bei Vorliegen eines BRAF-mutierten ATC wurde eine Kombinationstherapie aus dem BRAF-Inhibitor Dabrafenib und dem MEK-Inhibitor Trametinib gewählt, bei einem BRAF-Wildtyp ATC eine Kombination aus dem PD-L1-Inhibitor Pembrolizumab und Multikinaseinhibitor Lenvatinib. Lenvatinib ist seit 2015 in Europa (EMA European Medicines Agency) für mehrere Tumorentitäten zugelassen, darunter die Therapie des differenzierten jodrefraktären Schilddrüsenkarzinoms. Die Checkpoint-Inhibitor-Therapie mit Pembrolizumab und die BRAF/MEK-Inhibitor-Therapie mit Dabrafenib und Trametinib sind in Europa derzeit noch nicht zur Therapie des ATC zugelassen. Bei der jeweiligen Krankenkasse wurde eine individuelle Genehmigung für die Therapie beantragt, die in allen drei beschriebenen Fällen genehmigt wurde. Eine antiangiogenetische Therapie mit Lenvatinib 20mg täglich als bridging wurde sofort begonnen und nach entsprechender Genehmigung mit Pembrolizumab kombiniert (200 mg alle drei Wochen) oder bei Nachweis einer BRAF-Mutation auf Trametinib 4mg täglich/Dabrafenib 150 mg zweimal täglich umgestellt. Diese individuelle, mutationsbasierte Therapie wurde über vier Wochen fortgeführt.

Nach diesem begrenzten Zeitraum von vier Wochen erfolgte ein Re-Staging mittels 18F-FDG-PET/CT. Bei signifikantem Therapieansprechen mit Größenabnahme des Primärtumors um >50 % wurde die chirurgische Resektion erneut diskutiert. Diese kurze Dauer der „neoadjuvanten“ Behandlung wurde gewählt, um das Risiko von Arrosionsblutungen und/oder Fistelbildung durch die rasche lokale Tumorschrumpfung zu reduzieren [13, 14]. Es wurde dann zunächst eine Primärtumorresektion mittels Thyreoidektomie und Lymphadenektomie durchgeführt. In einem zweiten Schritt wurden ggf. limitierte Fernmetastasen etwa vier Wochen nach der Thyreoidektomie reseziert. Nach einer postoperativen Erholung von etwa zwei Wochen wurde die gezielte systemische Therapie fortgesetzt.

Ergebnisse

Zwischen Dezember 2021 und Mai 2022 wurden drei Patienten (Alter 57, 73, 81 Jahre) im Stadium IVB (1 Patient) und IVC (zwei Patienten) mit einer mutationsbasierten, vierwöchigen „neoadjuvanten“ Therapie gefolgt von einer Tumorresektion behandelt (siehe Tab. 1).

Tab. 1: Charakteristika der ATC-Patienten mit „neoadjuvanter“ zielgerichteter Therapie

Patient

Geschlecht w/m

Alter (Jahre)

UICC Stadium

„Neoadjuvante“ Therapie (4-6 Wochen)

Operative Therapie

TNM-Stadium

Postoperative Therapie

#1

w

81

IVC

(1 Lungenmetastase)

Lenvatinib

1. Thyreoidektomie mit zentraler/latraler LA, Resektion der thrombosierten V. jugularis interna, Resektion N. recurrens

2. Lungemetastasenresektion rechts

ypT4a, ypN1b,

L0 V0 Pn1 R1 (Trachea)

ypM1 (pulmo), R0

Lenvatinib plus Pembrolizumab

#2

m

57

IVC

(multiple kleine Lungenmetastasen)

Lenvatinib plus Pembrolizimab

Thyreoidektomie mit zentraler/linkslateraler LA, Resektion der thrombosierten V. jugularis interna

ypT4a ypN0,

L0 V1 Pn0 R0

Lenvatinib plus Pembrolizimab

#3

m

73

IVB

(Trachealeinbruch)

Dabrafenib plus Trametinib

Thyreoidektomie mit zentraler LA bds

ypT3b, ypN0

L0 V1 Pn1 R0

Dabrafenib plus Trametinib

LA: Lymphadenektomie

Bei zwei Patienten wurde ein ATC im Stadium IVC (pulmonale Metastasen) diagnostiziert, bei einem Patienten lag das Stadium IVB mit Infilrtation der Trachea vor. Die Stanzbiopsie ergab in zwei Fällen ein BRAF-wildtyp-ATC mit einer PD-L1-Expression von 80 % bzw. 90 % (TPS-Score). Einer der beiden Patienten erhielt eine „neoadjuvante“ Therapie mit Lenvatinib und Pembrolizumab. Eine Patientin wurde lediglich Lenvatinib vorbehandelt wegen langer Wartezeit auf die Genehmigung der Krankenkasse für den Einsatz von Pembrolizumab, das erst postoperativ verabreicht wurde. Bei dem dritten Patienten wurde eine BRAF-Mutation nachgewiesen, hier erfolgte die „neoadjuvante“ Therapie mit Dabrafenib und Trametinib.

Bei allen drei Patienten war ein deutliches Therapieansprechen zu verzeichnen, das Re-Staging zeigte jeweils einen beeindruckenden Größenregress und verminderte FDG-Aufnahme (Abb. 1). Bei einem Patienten waren die kleine Lungenmetastasen nicht mehr nachweisbar. Bei allen drei Patienten erfolgte eine Thyreoidektomie und Lymphadenektomie, es wurden bei zwei Patienten eine R0 und bei einem Patienten eine R1 (Trachealinfiltration) erreicht. In einem Fall wurde nach Rekonvaleszenz vier Wochen nach der Schilddrüsenoperation eine singuläre Lungenmetastase reseziert. Es traten keine postoperativen Komplikationen auf, die Patienten wurden nach 5-7 Tagen entlassen. Die individuelle zielgerichtete Therapie wurde nach Abschluss der Wundheilung fortgesetzt. Bei der ersten Nachsorgeuntersuchung drei Monate postoperativ mittels FGD-PET/CT gab es bei keinem der drei Patienten den Nachweis eines Rezidivs oder von Metastasen.

Abb. 1: Patient #2: 18F-FDG-PET/CT vor (A) und nach (B) „neoadjuvanter“ zielgerichteter Therapie. Regredienter Primärtumor im Bereich der linken Schilddrüsenloge (Pfeil) und nicht mehr nachweisbare pulmonale Filiae nach neoadjuvanter Therapie.

Diskussion

In allen drei Fällen induzierte die kurzzeitige „neoadjuvante“ Therapie ein beeindruckendes Ansprechen und führte zu lokaler Resektabilität bei primär nicht-resektablen ATC im Stadium IVB oder C. Die komplette Tumorresektion verbessert nachweislich die Prognose des ATC [1, 3, 15, 16]. Da sich die meisten Patienten – wie auch unsere – mit einer lokal inoperablen Erkrankung aufgrund einer lokalen Infiltration von A. carotis, Larynx, Trachea oder Ösophagus vorstellen, ist die Möglichkeit mit einer „neoadjuvanten“ Therapie eine Resektabilität zu erreichen von großer Bedeutung.

Die Option, eine BRAF-mutationsbasierte „neoadjuvante“ Therapie anzuwenden, hat in mehreren kleinen Fallserien Erfolge bezüglich der lokalen Resektabilität gezeigt [9–11]. Somatische Mutationen von BRAF bestehen in 40–70 % der ATC, 11–28 % der ATC exprimieren PD-L1 [17].

Wir haben zum ersten Mal eine kurzzeitige „neoadjuvante“ Behandlungsperiode gewählt, um das Risiko von Arrossionsblutungen und/oder Fisteln aufgrund einer möglichen schnellen Tumorschrumpfung zu reduzieren [13, 14]. Das Re-Staging mit einem 18F-FDG-PET/CT nach 4- bis 6-wöchiger „neoadjuvanter“ Behandlung konnte bei allen drei Patienten eine signifikante Tumorreduktion wie auch die komplette Remission von kleinen Lungenmetastasen bei reduzierter Glukoseaufnahme nachweisen. Dies weist darauf hin, dass eine kurze neoadjuvante Behandlungsdauer ausreichen könnte, um eine Resektabilität zu erreichen. Wang et al. berichteten über den Verlauf von sechs Patienten mit BRAF-mutiertem, lokal fortgeschrittenem ATC. Die mediane Dauer der „neoadjuvanten“ Behandlung betrug vier Monate [10]). Nach diesem Zeitraum wurden alle Patienten operiert und es konnte viermal eine R0-Resektion und zweimal eine R1-Resektion erreicht werden. Unsere Operationsergebnisse nach nur vierwöchiger „neoadjuvanter“ Therapie waren mit zwei R0- und einer R1-Resektion ähnlich. McCrary et al. beschrieben ebenfalls eine neoadjuvante Behandlung bei vier Patienten mit ATC, zwei mit BRAF-mutiertem Tumor und zwei mit BRAF-wildtyp Tumoren. Bisher wurde ein Patient nach vier Monaten Therapie mit Dabrafenib und Trametinib operiert. Im postoperativen histopathologischen Bericht wurde das Stadium ypT1ypN0 angegeben [11].

Die postoperative histopathologische Befunde zeigten bestätigten bei unseren drei Patienten ein Ausmaß an Tumornekrose oder regressivem fibrotischem Gewebe zwischen 60 und > 95 %. Der Fallbericht des MD Anderson Cancer Center zeigte 30 % Nekrose nach „neoadjuvanter“ Behandlung mit Dabrafenib-Monotherapie und im Verlauf zusätzlich Pembrolizumab für drei Monate [9]. Dies impliziert, dass eine kurze neoadjuvante Behandlungsdauer für eine Tumorregression ausreicht.

Es ist derzeit unklar, ob die Fortführung der Therapie mit BRAF/MEK-Inhibitoren oder eine Immuntherapie in Kombination mit mKI postoperativ ausreicht, um ein Lokalrezidiv oder eine Fernmetastasierung zu vermeiden. Eine zusätzliche postoperative (Chemo-)Strahlentherapie könnte erwogen werden, wurde aber bei unseren Patienten bisher nicht durchgeführt. Wir entschieden uns, die Behandlung mit BRAF/MEK-Inhibitoren fortzusetzen.

Während wir auf die Genehmigung zum „off-label-use“ des PD-L1-Inhibitors oder BARF/MEK-Inhibitoren warteten, wurden unsere Patienten „nur“ mit mKI behandelt. Ein zusätzliches bridging mit einer Chemotherapie (zum Beispiel Carboplatin und Paclitaxel) könnte sinnvoll sein.

Zusammenfassend kann eine 4- bis 6-wöchige mutationsbasierte „neoadjuvante“ Therapie die Resektabilität beim initial inoperablen ATC-Stadium IVB oder C ermöglichen, ohne dass während des kurzen Behandlungsintervalls lebensbedrohliche Komplikationen wie Arrosionsblutungen oder Fisteln auftraten. Die Langzeitprognose bleibt abzuwarten. Der Einsatz dieser in Deutschland noch nicht für das ATC zugelassen zielgerichteten Substanzen und die Verfügbarkeit einer schnellen und umfangreichen molekulargenetischen Analyse macht derartige Konzepte schwierig umsetzbar und erfordert die Infrastruktur einer Universitätsklinik. Basierend auf diesen ermutigenden ersten Ergebnissen wird derzeit eine prospektive AMG-Beobachtungsstudie vorbereitet.

Literatur

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Korrespondierender Autor:

Prof. Dr. med. Detlef K. Bartsch

Direktor

Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie

Universitätsklinikum Gießen und Marburg GmbH

Standort Marburg

[email protected]

E. Maurer

Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie

F. Eilsberger

Klinik für Nuklearmedizin

S. Wächter

Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie

J. Riera Knorrenschild

Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie

A. Pehl

Institut für Pathologie, Universitätsklinkum Gießen und Marburg GmbH, Standort Marburg

K. Holzer

Klinik für Visceral-, Thorax- und Gefäßchirurgie

A. Neubauer

Klinik für Hämatologie, Onkologie und Immunologie

M. Luster

Klinik für Nuklearmedizin

Chirurgie

Neue Therapiekonzepte in der endokrinen Chirurgie am Beispiel des anaplastischen Schilddrüsenkarzinoms. Passion Chirurgie. 2020 Oktober; 12(10): Artikel 03_02.

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