01.05.2010 Arbeitsrecht
Außertarifliche Verträge für Oberärzte
Anfang des Jahres 2010 fand sich in einer Rundmail des Personalrates eines großen deutschen Universitätsklinikums folgende Meldung:
„Nach Einschätzung des PR nehmen die sogenannten außertariflichen Verträge am UK zu. Hierbei handelt es sich um Tätigkeiten, die über der höchsten Entgeltgruppe angesiedelt sind. … Zwischen dem UK und dem PR besteht aber ein Gerichtsvergleich, wonach dem PR erläutert werden muss, ob es sich wirklich um eine AT-Tätigkeit handelt, oder ob das UK einfach nur die Beteiligungsrechte des PR umgehen will, indem es die Eingruppierung zu einer außertariflichen erklärt. An diesen Vergleich hält sich das UK mal wieder nicht. Wie Detektive jagen wir neuen AT-Einstellungen hinterher, um dann das UK aufzufordern, uns doch endlich unsere gerichtlich zugesagten Rechte einzuräumen.“
Diese Nachricht spiegelt aus mitbestimmungsrechtlicher Sicht, die in diesem Artikel nicht weiter beleuchtet werden soll, ein Phänomen wieder, das an deutschen Krankenhäusern und insbesondere auf dem Sektor der Privatkliniken verstärkt zu beobachten ist: vor allem Oberärzten werden bei der Einstellung sogenannte außertarifliche Verträge in verschiedener Gestaltungsform angeboten. Aus Sicht vieler Krankenhausträger sind solche Verträge in Zeiten des harten Wettbewerbs unverzichtbar, um sogenannte Leistungsträger für das jeweilige Haus zu gewinnen und nachfolgend auch zu binden. Leistungsorientierte und insbesondere differenzierte Vergütungsstrukturen sollen entwickelt werden, die einerseits den finanziellen Möglichkeiten der Häuser und andererseits aber auch der individuellen Leistung der Ärzte entsprechen.
Doch wann handelt es sich begrifflich überhaupt um einen außertariflichen Angestellten? Nach der gängigen Definition ist dies ein Mitarbeiter, der eine höhere Vergütung erhält als es der höchsten tariflichen Vergütung des einschlägigen Tarifvertrages entspricht, da seine Tätigkeit höher zu bewerten ist als die Tätigkeit in der obersten Tarifgruppe. Viele Tarifverträge nehmen die außertariflichen Angestellten aus ihrem Geltungsbereich aus und weisen ein sogenanntes Abstandsgebot aus, nach dem beispielsweise die Vergütung 20 % über dem höchsten Tarifgehalt liegen muss, um außertariflich zu sein. Ein solches Abstandsgebot enthalten die Tarifverträge des Marburger Bundes nicht, so dass im Einzelfall genau zu prüfen ist, ob eine außertarifliche Beschäftigung vorliegt, die nicht dem Geltungsbereich des jeweiligen TV-Ärzte unterliegt.
Ein AT-Angestellter muss kein leitender Angestellter im Sinne des § 14 Kündigungsschutzgesetz oder § 5 Abs. 3 Betriebsverfassungsgesetz sein. Da der Tarifvertrag die Arbeitsbedingungen des AT-Angestellten nicht festlegt, ist der Abschluss eines Individualarbeitsvertrages Voraussetzung für die Einordnung als AT-Angestellter (vgl. LAG Köln, Beschluss vom 20.06.2005 zu Az. 2 TaBV 9/05).
Solche Individualarbeitsverträge folgen erfahrungsgemäß verschiedenen Mustern. Zumeist, aber durchaus nicht immer findet sich eine Fixvergütung oberhalb der höchsten Entgeltgruppe, teilweise kombiniert mit „übertariflichen“ und/oder „außertariflichen“ Zulagen. Während außertarifliche Regelungen Gegenstände betreffen, die die einschlägigen tariflichen Bestimmungen überhaupt nicht vorsehen, knüpfen übertarifliche Regelungen an den tariflichen Gegenstand an, gehen aber über die normierten Mindestbedingungen hinaus. Dies kann dann der Fall sein, wenn einzelne Gehaltsbestandteile über Pauschalen abgegolten werden, wie Entgelte für (Ruf-)bereitschaftsdienste oder andere. Oft stellt sich bei genauem Nachrechnen aber das Gegenteil heraus – die Pauschale liegt unter dem tariflich Vorgesehenen. Hier muss jeweils geprüft werden, welche Variante für den einzelnen Arzt die bessere ist und ob gegebenenfalls auch die Möglichkeit besteht, nachzuverhandeln.
Besondere Vorsicht ist geboten bei der in den „außertariflichen“ Verträgen fast immer vorgesehenen Abgeltung der gesamten Arbeitszeit mit der vereinbarten Vergütung. So enthält beispielsweise der Dienstvertrag eines großen privaten Klinikträgers folgende Formulierungen: „Der Arzt führt die Funktionsbezeichnung Oberarzt. … . Seine Arbeitszeit richtet sich nach den betrieblichen Erfordernissen. Die Parteien gehen davon aus, dass zur Erfüllung der dienstvertraglichen Aufgaben der Arzt während der üblichen Dienstzeiten durchschnittlich mindestens 40 Stunden pro Woche im Krankenhaus anwesend ist.“ Hieraus ergibt sich bereits keine feste Arbeitszeit, so dass bei einer Überschreitung der 40 Stunden auch die entsprechenden tarifvertraglichen Überstundenvergütungen und Bereitschaftsdienstentgelte nicht zum Tragen kämen.
Bemerkenswert ist, dass sich viele der sogenannten außertariflichen Verträge an die Chefarztvertragsmustertexte anlehnen und einzelne der Bestandteile, wie Beschreibung der Dienstaufgaben, erfolgsabhängige variable Vergütung nach Zielvereinbarung, Entwicklungsklausel etc. fast unverändert übernehmen. Dieser Trend könnte sich in der jetzigen Zeit „neuer“ Chefarztverträge ohne Liquidationsrecht eher verstärken und möglicherweise zu einheitlichen Vertragsmustern im Bereich der leitenden Ärzte insgesamt führen.
Aus Sicht einer Gewerkschaft und der beratenden Verbandsjuristen und Rechtsanwälte des Marburger Bundes ist dieser „Einstieg in den Ausstieg“ aus den Tarifverträgen im oberen Segment eher kritisch zu bewerten. Zum Einen bieten die tarifvertraglichen Bestimmungen bei genauerem Hinsehen oft bessere Arbeitsbedingungen – nicht nur im Hinblick auf die Vergütung – als der individualrechtliche „außertarifliche“ Vertrag, der im Zweifel auch immer wieder vom Einzelnen neu nachverhandelt werden muss. Zum Anderen schwächt das Herausbrechen der oberen Ebene aus dem Tarifgefüge die Ärzteschaft in ihrer Verhandlungsführung und eröffnet den Arbeitgebern die Möglichkeit, deren Einheit zu spalten. Schon jetzt ist es an den betroffenen Kliniken, wie auch im oben genannten Beispiel des Universitätsklinikums so, dass die betroffenen Oberärzte über ihre Vertragsbedingungen Stillschweigen bewahren und jeder die für sich besten Konditionen verhandelt – das Modell der Zukunft?
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