01.04.2019 Panorama
Aus einer Wüste einen Garten machen
Interview mit einer ehemaligen Chirurgin, die jetzt als Coach arbeitet
Nele Klose wollte in einem Krankenhaus arbeiten, wo auch der Rettungshubschrauber landet. Sie wollte als Unfallchirurgin arbeiten – einem tollen Beruf, von dem sie immer noch überzeugt ist. Sie arbeitete im Maximalversorger und beim gemeinnützigen Träger. Erst lief die Weiterbildungszeit nicht so wie versprochen und dann kam die entscheidende Erkenntnis: Ihre Energie, die sie in den Job investiert hat, stand für sie in keinem Verhältnis zu dem, was ihr Job ihr zurückgab. Jetzt arbeitet sie unter anderem als Coach rund um das Thema Belastungssituationen im Krankenhaus und nutzt so ihre Erfahrungen als Chirurgin.
PASSION CHIRURGIE: Warum sind Sie ausgestiegen? Was war der Auslöser?
Nele Klose: Es gab nicht DEN Grund oder DEN Auslöser. Es war auf jeden Fall eine Mischung verschiedener Faktoren: die berüchtigte Work-Life-Balance, wenig Zeit zur Weiterbildung und direkt am Patienten. Unter dem Zeitdruck im Krankenhausalltag leidet dann auch oft die Stimmung in der Klinik.
Was ich in dieser Zeit investiert habe, stand für mich in keinem Verhältnis zu dem, was die Patienten am Ende davon hatten und oft nicht zu meinen eigenen Qualitätsansprüchen. Das ist aber mein ganz persönliches Empfinden gewesen. Es gibt viele Menschen, gerade unter Chirurginnen und Chirurgen, die sehr vom Fachlichen profitieren und merken, sie haben jetzt den Dreh raus und können gut operieren – das gibt ihnen die nötige Zufriedenheit im Job. An den Punkt bin ich in meiner Ausbildung leider nicht gekommen. Das hat sehr stark mit meiner Prägung, mit dem Blickwinkel wie ich aufgewachsen bin zu tun. Wahrscheinlich habe ich einen eher „unchirurgischen“ Blick gehabt.
PC Was meinen Sie mit dem „Blickwinkel“, mit dem Sie aufgewachsen sind?
NK Meine Mutter war Psychotherapeutin auf dem Land. Sie war in Kollegenkreisen immer gut vernetzt und wusste auch schnell Bescheid über Hintergründe – gefühlt habe ich beim Aufwachsen jährlich von einem Suizid vom Namen nach bekannten Ärzten im Umkreis gehört. Ich habe also schon früh erlebt, was im schlimmsten Fall passieren kann und wie wichtig es ist, auf sich selber zu hören und seinen Bedürfnissen gerecht zu werden, auch im Job.
PC Was ist in Ihren Augen nötig, damit sich das Arbeitsklima in einer Klinik bessert?
NK Es kann sehr viel in der Kommunikation in den chirurgischen Teams getan werden. Es gibt so viele Möglichkeiten, die von den meisten Kliniken leider nicht genutzt werden. Oft wird gesagt, dass für gute Kommunikation die Zeit fehle, aber ganz im Gegenteil: man kann dadurch ungemein viel Zeit sparen. Wenn zum Beispiel ein/e neue/r Chef/in ins Haus kommt, vergeht sehr viel Zeit bis man Vertrauen aufgebaut hat, bis man „aufgewärmt“ ist. Das ist Zeit, in der noch nicht so effektiv gearbeitet werden kann. Diese Phase könnte man durch einen Übergangsworkshop sehr gut abkürzen. Dort kann ein/e neue/r Chef/in genau sagen, welchen Hintergrund er/sie hat, wie er sich die Zusammenarbeit vorstellt und was er/sie vom Team braucht, um gut arbeiten zu können. Und das Team bekommt den Raum um zu erklären, welche Dinge und Abläufe bisher gut geklappt haben, welche sie weiter so erhalten wollen. Es können dann auch gleich Punkte besprochen werden, die in der Vergangenheit nicht so gut gelaufen sind. Damit hat man von Anfang an einen ganz anderen Vertrauensvorschuss und kann locker ein halbes Jahr früher effektiv miteinander arbeiten. Innerhalb von Wochen statt Monaten. Das ist ein Beispiel wie man mit geringem Aufwand viel erreichen kann durch Coaching.
PC Was genau verstehen Sie unter Coaching?
NK Es ist ein Ansatz, nach einer Lösung zu schauen, ganz konkret, statt sich ewig mit dem Problem zu beschäftigen; dabei ist der Klient der Experte und die Annahme, dass er die Lösung bereits in sich trägt und danach Potenzial entwickelt werden kann, was ohne das Problem gar nicht hervorgekitzelt worden wäre. Der Coach ist also kein allwissender Berater, sondern nur der Experte für den Prozess, sozusagen der Geburtshelfer. Damit ist es sehr effektiv, eine Schlüsselperson mit all ihrem internen Wissen und Einfluss ein paar Stunden zu coachen, um gleich eine Änderung zu erzielen, ohne dass notwendigerweise das ganze Team einen Tag frei braucht. Quasi wie ein Domino-Effekt: die anderen können mitbewegt werden. Keiner steht mit seinem Handeln isoliert allein da.
PC Welche Teams coachen Sie?
NK Ziel bei meinem Coaching ist auf jeden Fall, viel mit chirurgischen Teams zusammenzuarbeiten. Da kommen vor allem mutige Einzelpersonen auf mich zu. Verwaltungen bzw. Personalentwicklungsabteilungen fragen auch Workshops an. Das überrascht mich eher, weil mir der Umfang ihrer Rolle nicht bewusst war als Ärztin in Weiterbildung im Krankenhaus. Auch in großen Häusern ist oft die Motivation, dass ihnen bereits Fachärzte fehlen, die wegen der Arbeitsbedingungen im Krankenhaus lieber in der Niederlassung arbeiten. Bemerkenswert ist, dass diese Anfragen häufig im Krankenhausprozess „steckenbleiben“. Bis der Vorstand/die Geschäftsleitung zustimmt und bis die Ärzte sich tatsächlich Zeit dafür nehmen, ist schnell die nächste Alltagsherausforderung wichtiger.
In Coaching wird in den meisten Fällen erst dann investiert, wenn das Kind schon in den Brunnen gefallen ist – Insolvenz, Head-Hunter bei massiven Nachwuchssorgen, statt sich attraktiv für PJler zu positionieren etc., also Druck statt Prophylaxe.
PC Sie raten also eher zu Prophylaxe als zum Krisenmanagement?
NK Später ist es leider ungleich teurer und viel schwieriger, unter so einem Veränderungszwang und Existenzangst nach der wirklich besten Lösung zu schauen statt nur Feuer zu löschen. Dann bleibt allerdings eher das Bild zurück von „Heuschrecken mit BWL-Anzügen, die auch nichts besser machen“. Obwohl manche der Methoden es vielleicht gekonnt hätten, aber zu einem früheren Zeitpunkt. Im chirurgischen Bild: Der an Krebs erkrankte Patient, der bis zum Darmverschluss gewartet hat, schimpft auf den Operateur und die Medizin, die einen nur beim Sterben begleitet, statt zeitnah bei wechselnden Stuhlgängen/Bauchschmerzen abzuklären oder Jahre vorher die Vorsorge-Untersuchungen wahrzunehmen und sich beraten zu lassen, das Rauchen aufzugeben. Dann kann auch der größte Spezialist keine Rettung mehr versprechen.
Meines Erlebens nach wissen die meisten Ärzte gar nicht (oder haben Sorge, dass sich der Zeitaufwand nicht lohnt), dass es Maßnahmen für die „wechselnden Stuhlgänge einer Organisation“ gibt, man letztere ernst nehmen sollte und die Maßnahmen auch etwas ändern. Denn meistens sind das Problem und auch die Verbesserung nicht so glasklar gleich im nächsten Quartal zu fassen wie die bessere Belegungszahlen und der CMI.
PC Was steckt dahinter? Warum glauben Sie, dass Coaching oft mit Zeitmangel abgetan wird?
NK Was ich spannend finde, ist, dass doch einige den Frust rein im Privaten halten und den Druck nach Hause tragen. Das geht dann zu Lasten von Beziehung und Familie. Statt betriebsinterne Probleme professionell anzugehen, wird kurzsichtig Belastbarkeit idealisiert und der Einzelne kämpft allein. Häufig scheint es automatische Denkverbote oder sogar Tabus zu geben („verpönt“), auf jeden Fall Berührungsängste. Den gleichen mangelnden Schulterschluss sehe ich auf Organisationsebene bei Verwaltungen, die Interesse an Schulungen für die Ärzte haben, und Ärzte, die unzufrieden sind, aber kaum Austausch stattfindet.
Das Interview führte Julia Weilbach, Presse- & Öffentlichkeitsarbeit im BDC
Klose C, Weilbach J: Aus einer Wüste einen Garten machen. Passion Chirurgie. 2019 März, 9(04): Artikel 09_01.
Autor des Artikels
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