Einleitung
Derzeit wird geschätzt, dass nur ca. 15 bis 40 % aller medizinischen Entscheidungen auf wissenschaftlicher Evidenz beruhen [1]. In zahlreichen insbesondere operativen Fachgebieten existieren nur wenige randomisiert-kontrollierte Studien, sodass insbesondere auch Leitlinien auf Grundlage von Studien der Evidenzklassen III und IV erstellt wurden. Da sich Evidenz nicht zuverlässig in Hierarchien einordnen lässt, wird daher die strenge und starre Klassifikation der Evidenz in Stärkegrade zunehmend hinterfragt. Für zahlreiche medizinische Gebiete weisen sowohl randomisiert-kontrollierte Studien als auch Beobachtungsstudien spezifische Vor- und Nachteile auf [2; 3].
In dem Dilemma des Mangels an prospektiv-randomisierten Studien haben prospektive Beobachtungsstudien ihre Bedeutung. Einen entscheidenden Anteil am Durchbruch der Bewertung von prospektiven Beobachtungsstudien haben BENSON und HARTZ. Ihre Veröffentlichung „A comparison of observational studies and randomized, controlled trials“ im New England Journal of Medicine vergleicht 19 verschiedene Therapien in über 136 Publikationen [2]. Dabei waren die Ergebnisse der kontrollierten Studien und der Beobachtungsstudien bei jeweils gleicher Fragestellung trotz unterschiedlichem Studiendesign gleich [2; 3].
Beobachtungsstudien zeichnen sich durch geringere Kosten und eine größere Patientenzahl aus [4]. Neben dem Ziel der klinischen Beobachtungsstudien, evidenzbasiertes Wissen zu erarbeiten, bieten sie in Form von Qualitätssicherungsstudien die Möglichkeit, Risikofaktoren, prognostische Indikatoren und Langzeiteffekte sowie -komplikationen insbesondere im klinischen Alltag zu identifizieren und die Güte der spezifisch zu untersuchenden medizinischen Therapiemaßnahme zu eruieren. Beobachtungsstudien übernehmen diese Aufgabe damit in Situationen, in denen randomisierte Studien aus medizinisch-ethischen, rechtlichen, epidemiologischen oder medizinischen Gründen nicht vertretbar sind [3; 5].
Das Ziel der vorliegenden Kurzübersicht ist es, basierend auf sehr selektiven Referenzen sowie den aktuellen Entwicklungen in der chirurgischen Studien“landschaft“ insbesondere Stellung, Wertigkeit, Ziele, Aufgaben und erzielte Konsequenzen von Qualitätssicherungsstudien in der Chirurgie und ihrer Bedeutung gerade für die Ermittlung der gegebenen Behandlungsqualität als auch für abzuleitende Konsequenzen im allgemein- und viszeralchirurgischen Fachgebiet bzw. am konkreten Studiengegenstand, der operativen Therapie der Adipositas, zu umreißen.
Einzelaspekte
Randomisiert-kontrollierte Studien haben das Ziel des Wirksamkeitsnachweises und sind daher nicht zur Versorgungsforschung geeignet.
Mängel randomisiert-kontrollierter Studien sind:
- Unvereinbarkeit mit bioethischen Konventionen und Gesetzen – „Inappropriateness“,
- strenge Ein- und Ausschlusskriterien,
- strenge Definition von Zielkriterien,
- statistische Probleme (Nullhypothese, Festlegung von Wahrscheinlichkeiten),
- geringe externe bei hoher interner Validität,
- limitierte Übertragbarkeit auf die klinische Praxis,
- Kostenintensivität.
Mit Beobachtungsstudien lässt sich der Ist-Zustand hinsichtlich verschiedener Fragestellungen erfassen. Die externe Qualitätssicherung bezieht sich dabei auf die Gegenüberstellung von Ergebnissen identischer Leistungen in verschiedenen Einrichtungen. Qualitätsindikatoren bilden die Basis zum Vergleich unterschiedlicher Krankenhäuser. Sie sollten relevant, zuverlässig, sensitiv, valide, präzise definiert und dem Patienten zuzuordnen sein. Darüber hinaus müssen Qualitätsindikatoren praktikabel in Erfassung und Bewertung sein. Beobachtungsstudien dienen der Beschreibung von Krankheitscharakteristika und deren zeitlichen Verlauf.
Vorteile von Beobachtungsstudien im Vergleich mit randomisierten Studien sind:
- keine Beschränkung der Patientenzahlen,
- exaktere Angaben zu Fehlern und Komplikationen aufgrund der höheren Fallzahlen und der Erfassung der täglichen klinischen Praxis,
- kein Vorliegen strenger Ein- und Ausschlusskriterien,
- Erfassung verschiedener Zielkriterien,
- keine Einschränkung der Zielkriterien aufgrund ethischer Gesichtspunkte,
- Erfassung der täglichen Routine („Effectiveness“),
- keine zeitliche Einschränkung der Erfassung der Nachsorge,
- gute Durchführbarkeit,
- geringere Kosten.
Auf Grundlage des Beschlusses der 72. Gesundheitsministerkonferenz 1999 und des Sozialgesetzbuches V § 135 a sind alle Einrichtungen ab dem 01.01.2005 verpflichtet, ein an den Stand der Wissenschaft und Technik orientiertes Qualitätsmanagement einzuführen.
Die Qualitätssicherungsstudien für
➢ die Therapie des Kolon- und Rektumkarzinoms,
➢ die Therapie des Magenkarzinoms,
➢ die Therapie der akuten Appendicitis,
➢ für operative Therapie der Adipositas,
➢ Pankreas-assoziierte operative Eingriffe und
➢ SILS,
die am AN-Institut für Qualitätssicherung in der operativen Medizin der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg durchgeführt werden, sind hierfür sehr geeignete Instrumente.
Derzeit werden mit den laufenden Qualitätssicherungsstudien zirka 75 bis 85 % aller Eingriffe in den genannten Feldern der Viszeralchirurgie in Deutschland erfasst.
Eine wichtige Aufgabe der Qualitätssicherung ist es, eine faire (anonyme) Gegenüberstellung zwischen den Kliniken und ihrem Versorgungsprofil vorzunehmen, die vorhandene Unterschiede in der Versorgungsqualität in der BRD aufzeigt. Die Freiwilligkeit der Teilnahme an den vorliegenden Qualitätssicherungsstudien und strenge Vertraulichkeit im Umgang mit den Daten gewährleistet für jede der teilnehmenden Einrichtungen Objektivität und Sicherheit der gemeldeten Daten. Einmal jährlich erhalten die beteiligten Kliniken die Auswertung bezüglich der eigenen Daten im Vergleich mit denen der Gesamtstudie.
Zum Vergleich der unterschiedlichen Krankenhäuser werden Qualitätsindikatoren benötigt. Diese sollten idealerweise
* relevant, |
* zuverlässig, |
|
* sensitiv, |
* valide, |
|
* präzise definiert, und |
* dem Patienten zuzuordnen sein. |
Darüber hinaus sollten sie verschiedene Aspekte der Patientenversorgung berücksichtigen und praktikabel in Erfassung und Bewertung sein. Dabei entsteht die wesentliche Problematik der oftmals eingeschränkten bzw. fehlenden Vergleichbarkeit der Patienten bzw. Populationen.
Patienten mit gleicher Grunderkrankung wie beispielsweise in der Studie zur operativen Therapie der Adipositas (Abb. 1) unterscheiden sich hinsichtlich Alter, Geschlecht, Schweregrad, Begleiterkrankungen, Funktionsfähigkeit und weiteren Faktoren, die den Behandlungserfolg beeinflussen können. Eine Möglichkeit, doch eine Vergleichbarkeit herzustellen, ist die Risiko-Adjustierung bezüglich gezielter Faktoren wie beispielsweise des BMI, der Begleit- bzw. Folgeerkrankungen und deren Schweregrad, der Vorerkrankungen und Voroperationen. Auch demografische Faktoren, subjektiver Gesundheitsstatus, kognitive, seelische und soziale Funktionen und auch Lebensstil-Faktoren sind in die Risiko-Adjustierung einzubeziehen.
Beobachtungsstudien haben jedoch folgende Nachteile:
- Selektions-Bias durch fehlende Randomisierung,
- Überschätzung des Behandlungseffekts durch fehlende Randomisierung,
- Einflüsse durch bekannte und unbekannte Störfaktoren („Confounder“),
- fehlende Möglichkeit der Verblindung,
- unvollständige Erfassung aller relevanten Daten,
- geringe interne bei hoher externer Validität [3].
Abb. 1: Stellenwert der Qualitätssicherung am Beispiel der operativen Therapie der Adipositas (RCT: Randomisiert-k