opg : Worin besteht der größte Unterschied zwischen dem Arbeitsplatz Klinik und MVZ?
Velling: Erstens ist es der Wochenend- und Nachtdienst und zweitens ist es der Wochenend- und Nachtdienst … – Ganz ehrlich: Das ist der Hauptgrund, warum viele Ärzte nach der Facharztausbildung im Krankenhaus aufhören wollen, wenn sie nicht Oberarzt werden können. Darüber hinaus behandelt man völlig verschiedene Patientengruppen. Ambulante Patienten kommen und gehen selbstständig. Der Stationsarzt fängt dort an, wo der ambulante Kollege nicht mehr weiterkommt.
Im MVZ sehen wir rund 80 Patienten am Tag, in der Klinik gibt es weniger Patienten, für die ein Arzt verantwortlich ist, dafür aber ein diagnostisches Gestrüpp, in dem der Patient von einer Untersuchung zur nächsten geschickt wird. Stationsärzte sind häufiger „fremdbestimmt“ als ihre Kollegen in der ambulanten Medizin.
opg: Warum engagiert sich „Ihre“ Klinik bei Medizinischen Versorgungszentren?
Velling: Im Krankenhaus gibt es kurze Liegezeiten, unser Thema ist daher vor allem das Entlassmanagement – die ambulante Weiterbetreuung von chronisch kranken Patienten.
opg: Der Trend geht bei Medizinern hin zur Anstellung. Ist das eine positive Entwicklung?
Velling: Wie immer man das bewerten will, Fakt ist, dass es sich um einen gesellschaftlichen Trend handelt. Der Wandel hin zu einer ausgewogenen Work-Life-Balance ist auch in anderen freien Berufen spürbar. Fachärzte, auch für Allgemeinmedizin, empfinden Selbstausbeutung mit 60 Wochenstunden nicht mehr erstrebenswert und bedenken dies vor dem Kauf eines Vertragsarztsitzes. Das MVZ war 2004 in der ambulanten Versorgung die einzige Institution, die anstellen konnte. Das war damals der Startschuss ein MVZ zu gründen, um dann anstellen zu können.
Diese Regelung wurde schnell geändert, und die Anstellung dann auch für Gemeinschaftspraxen zu einer Option. Teilzeitstellen werden aber im MVZ am intensivsten gelebt. Jobsharing ist der entsprechende Ersatz für Vertragsarztpraxen. Neben der Möglichkeit, Teilzeit zu arbeiten, spielt jedoch auch eine Rolle, dass der angestellte Arzt mehr Zeit für seine Patienten hat und auch die Arbeit im Ärzteteam ist ein Faktor, der für eine Anstellung spricht.
opg: Mit der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung (ASV) gibt es einen neuen Anbieter in der Versorgungslandschaft. In welchem Verhältnis steht das MVZ dazu? Beteiligen Sie sich daran?
Velling: Unsere Klinik hat selbst zwei ASV-Zulassungen, für pulmonale Hypertonie und Tuberkulose. Dabei handelt es sich um Behandlungen, die meistens klinisch eingeleitet und ambulant weiterbetreut werden. Ich sehe zwischen MVZ und ASV keine Konkurrenz, sondern eher zwischen Krankenhausermächtigungen und ASV. Das Hauptproblem besteht meiner Meinung nach darin, dass man einen anderen Abrechnungsweg gewählt hat.
Die Kassenärztliche Vereinigung hat immer noch genügend Macht, Ungeliebtes auszubremsen. Insgesamt halte ich die Idee der ASV für hervorragend. Die ASV ist ein Programm für Patienten mit seltenen Krankheitsbildern. Hierbei ist gesteuerte Kooperation gefragt, denn einer allein kann es nicht. MVZ können sich daran beteiligen – unser MVZ tut es aktuell nicht.
opg: Diese Regierung hat viele Gesundheitsgesetze verabschiedet. Was war für die MVZ dabei?
Velling: Das Versorgungsstärkungsgesetz vom Sommer 2015 ist für die MVZ ein Meilenstein, denn es sorgt seitens des Gesetzgebers für mehr Rechtssicherheit in der kooperativen Versorgung und schafft mehr Gleichberechtigung für angestellte Ärzte gegenüber den niedergelassenen Kollegen. Ein Punkt ist die Vertretungsregelung. Angestellte Ärzte sind hierbei nun mit Praxisinhabern gleichgestellt, da die Vertretungsgründe auf den angestellten Arzt angepasst wurden.
Ein weiteres Beispiel ist das Gleichbehandlungsgebot von angestellten und Vertragsärzten in der Zeitplausibilitätsprüfung. Dies ist nun in § 106 unmissverständlich klargestellt. Dass die praktische Umsetzung noch nicht reibungsfrei funktioniert, steht auf einem anderen Blatt. Da ist weiterhin Aufklärungsarbeit gefragt, für die sich der BMVZ gerne einsetzt. Ebenso für weitere Punkte, wie Fragen zu Abrechnung und Honorar, in denen MVZ von einer Gleichstellung noch ein ganzes Stück entfernt sind.
opg: Vom MVZ sagt man, dass dort Kooperation und Kommunikation besser seien. Patienten finden alles unter einem Dach. Was wissen Sie über die Versorgungsqualität im MVZ, ist die auch besser?
Velling: Es existieren keine Veröffentlichungen zu dem Thema. Die Stiftung Warentest hat festgestellt, dass es nicht mehr Beschwerden über MVZ gibt als über andere Praxen. Die Hilfe, die wir durch die Organisationsstruktur, fachintern und fachübergreifend samt Controlling und ausgefeilter gemeinsamer Software etc. haben, führt dazu, dass wir in den MVZ eine bessere Kontrolle haben, als in einer kleinen Praxis. Und die Kommunikation ist durch die kurzen Wege besser, der „Flurfunk“ zwischen Fachgruppen funktioniert wie im Krankenhaus. Ich bin fest davon überzeugt, dass die Prozessqualität eine bessere ist als bei Einzelkämpfern. Aber das gilt nicht nur fürs MVZ, sondern auch für andere Kooperationsformen.
opg: Was wissen Sie darüber, ob die angestellten MVZ-Ärzte ihre Vertretungsrechte wahrnehmen?
Velling: Grundsätzlich ist das ein Problem in der Vertragsärzteschaft. Gefühlt bringt sich ein Viertel der Ärzte in der Kassenärztlichen Vereinigung ein, der Rest will damit gerne nichts zu tun haben. Die Vertretung ist sehr fachverbandbezogen – das heißt, Orthopäden schicken Orthopäden. Die Angestellten haben bisher noch keine Vertretung.
opg: Warum?
Velling: Gefühlt scheinen angestellte Ärzte in der Selbstverwaltung nicht willkommen. Dabei sind die aktuell 20 Prozent der angestellten Ärzte ebenso Mitglieder ihrer KV wie ihre niedergelassenen Kollegen – mit allen Pflichten, siehe Mitgliederbeitrag, doch augenscheinlich weniger Rechten. So sprechen einige Vertreter von Facharztverbänden angestellten Ärzten die Berechtigung ab, in der KV überhaupt Mitgliedsrechte ausüben zu dürfen.
Nicht ohne Grund versucht die Politik gerade mit dem Selbstverwaltungsstärkungsgesetz die Mitgliedschaft über die Beschäftigungszeit zu definieren, da die regionalen KVen diese im Vorfeld der diesjährigen Wahl teilweise zum Nachteil der Angestellten ausgelegt hatten. Der Fachausschuss „Angestellte Ärzte“ ist noch so ein Beispiel. In der letzten Legislatur gesetzlich festgelegt, haben einige ihn bis heute nicht eingerichtet.
Doch gilt es auch den angestellten Arzt davon zu überzeugen, dass sein Mitspracherecht in den KVen wichtig ist. Dies ist insofern schwierig, da ein angestellter Arzt oftmals froh ist, sich nicht mit der KV befassen zu müssen. Hier sind nun wieder die Geschäftsführer gefragt, da sie kein Entscheidungsrecht in der Selbstverwaltung haben und ihre Interessen nur durch ihre Ärzte vertreten werden können.
opg: Wenn Sie einen Wunsch aus MVZ-Sicht frei hätten, welcher wäre das?
Velling: Mir geht es um die Gleichberechtigung. Ich wünsche mir, dass es völlig egal ist, ob man angestellt oder selbstständig tätig ist. Es gibt keinen qualitativen Unterschied in der Patientenversorgung.
opg: Vielen Dank für das Gespräch.