01.04.2024 Politik
Ambulantes Operieren – Wer will das eigentlich?
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Kritische Gedanken zu einem Dauerthema
Das ambulante Operieren hinkt in Deutschland nach wie vor deutlich hinter vergleichbaren mitteleuropäischen Ländern hinterher. Die Patienten und die Krankheitsbilder unterscheiden sich im Grunde nicht, auch die ärztliche Qualifikation der operierenden Fächer ist nicht anders. Woran liegt es also, dass wir ambulantes Operieren nicht in größerem Umfang anbieten?
Es wäre zu einfach, dieses Manko nur auf die schlechte finanzielle Honorierung ambulanter Eingriffe zu schieben. Der Ruf nach mehr Geld kommt bei jeder Diskussion nahezu reflexartig aus den Vertretungen der sogenannten Leistungserbringer. Sowohl die Deutsche Krankenhausgesellschaft wie auch die diversen Organisationen im ambulanten Sektor sprechen hier dieselbe Sprache, meinen am Ende aber durchaus Verschiedenes.
Schon bei der Einführung eines eigenen Abrechnungskapitels im EBM war klar, dass die Vergütung bei realistischer Kalkulation nicht kostendeckend sein würde. Anfangs wurde dieses Problem noch verschärft durch floatende Punktwerte im Rahmen eines allgemeinen Budgets für Vertragsärzte. Die Herausnahme der ambulanten Operationen aus diesem Budget hat allerdings angesichts steigender inflationsbedingter Kosten und unveränderter Bewertung nur eine kurze Erholungspause bewirkt. Immerhin hat die Kassenseite eingesehen, dass ein Austrocknen letztlich nicht zielführend sein kann, und hat zusätzliche Mittel bereitgestellt. Ohne hier auf die Details einzugehen, bleibt festzustellen, dass Kleineingriffe ohne wesentlichen personellen und apparativen Aufwand bei optimierten Prozessen einigermaßen wirtschaftlich darstellbar sind, umfangreiche Eingriffe aber die Grenze der Unwirtschaftlichkeit erreichen bzw. überschreiten. Das gilt erst recht für ambulante Operationen im klinischen Setting. Dort ist der Aufwand aufgrund der komplexeren Strukturen oftmals deutlich größer und die Ertragssituation damit entsprechend schlechter. Da wundert es nicht, dass die Kliniken auf stationäre DRG ausweichen, die eine um ein Vielfaches höhere Vergütung auslösen. Auch die Gefahr unerfreulicher Prüfungen durch den Medizinischen Dienst schreckt nicht ab. Wenn es also keine Anreize gibt, Operationen aus der stationären Versorgung in die ambulante Leistungserbringung zu transferieren, muss man sich nicht wundern, dass in Deutschland die Quote von ambulanten Operationen vergleichbar niedrig ist.
Nun ist Geld zwar ein wichtiges, aber nicht das einzige Argument gegen die sogenannte Ambulantisierung. Man darf bei der Diskussion nicht die möglichen Auswirkungen auf die Weiterbildung außer Acht lassen. Eine große Zahl der prinzipiell ambulant durchführbaren Eingriffe sind eher kleinere bis mittlere Prozeduren, die typischerweise zu Beginn der Weiterbildung von Assistenzärztinnen und -ärzten geleistet werden. Wenn diese Operationen im ambulanten Sektor verschwinden, fehlen wichtige Inhalte der Weiterbildung nicht nur in der Chirurgie. Denn nach aktueller Gesetzeslage ist im ambulanten Bereich der Facharztstatus gefordert und nicht wie in der Klinik der Facharztstandard. Ohne eine Klärung dieses Problems wird es keine breite Ambulantisierung geben können. Wir im BDC fordern beständig eine Verbundweiterbildung ein, damit die jungen Chirurginnen und Chirurgen auch außerhalb der Heimatklinik ihre operativen Fähigkeiten erlernen können.
Ein zusätzliches, wenn auch lösbares Problem stellt das Management eines ambulanten OP-Betriebs dar. Im ambulanten Setting sind die Patienten nicht beliebig verfügbar, sondern müssen gezielt zum Termin einbestellt werden, ohne andererseits zu lange Wartezeiten zu verursachen. Der Eingriff selbst unterscheidet sich nicht von einer stationären Vorgehensweise, aber eine längere Überwachung gibt es nicht, weil die Patienten nach dem Eingriff mehr oder weniger zügig die Einheit verlassen und damit einer weiteren Kontrolle entzogen sind. In diesem Zusammenhang sind relevante medico-legale Konsequenzen zu befürchten, denn auch nach häuslicher Entlassung bleibt die operierende Einheit für den Verlauf verantwortlich. Aus diesem Grund wehrt sich der Berufsverband auch vehement gegen die Aufnahme von Appendektomien oder Cholezystektomien in den neuen Katalog der Hybrid-DRG der dann obligat ambulant zu erbringenden Eingriffe. Es ist unstrittig, dass diese Operationen im Einzelfall ambulant durchführbar sind, aber eine obligate Regelversorgung darf es nicht geben.
Um auf die Eingangsfrage zurückzukommen, wer ambulantes Operieren eigentlich will, kann man konstatieren, dass die Kliniken kein großes Interesse haben können, sowohl aus finanzieller Sicht wie auch aus ihrem Selbstverständnis heraus, jedenfalls solange es nicht gelingt, das stationär wegfallende Spektrum am eigenen Haus in einer ambulanten Struktur zu etablieren. Auch im vertragsärztlichen Bereich ist das Interesse begrenzt, solange die Honorierung nicht kostendeckend ist.
Profiteure einer Ambulantisierung sind primär die Kostenträger, denn die Reduktion stationärer DRG wird immer eine Einsparung nach sich ziehen, selbst wenn über die H-DRG die zu generierenden Erlöse meist (aber keinesfalls immer) etwas höher sind als in einer Abrechnung nach EBM.
Interessant ist die Frage nach den Wünschen der Patienten. Umfragen zeigen eine allgemeine Präferenz für ein ambulantes Vorgehen. Im konkreten Einzelfall entscheiden sich die Menschen dann aber doch häufig für einen komfortablen Krankenhausaufenthalt. Angesichts zunehmender Tendenzen in Richtung eines staatlich regulierten Gesundheitssystems dürfte der Bevölkerung die Wahloption genommen werden, auch wenn kein Gesundheitspolitiker dies laut aussprechen wird. Denn jegliche Einschränkung von Gesundheitsdienstleitungen führt unweigerlich zur Abstrafung an der Wahlurne.
Wenn denn keiner so richtig möchte, wie erklärt sich dann der verbissene Kampf um die Ressource „Ambulante Operation“?
Die Kernursache liegt in unserem streng sektoral aufgeteilten System. Kliniken und Niedergelassene leben jeweils in einem gegeneinander abgeschotteten Käfig. Übrigens setzt sich diese sektorale Aufteilung auch in den Krankenkassen fort. Auch dort gibt es keine Durchlässigkeit in der Verwaltung der Geldmittel zwischen den Sektoren. Im Klartext bedeutet dies: Jede Verlagerung von A nach B führt auf der einen Seite zu zusätzlichen Einnahmen, auf der anderen Seite zu Verlusten. Dieses Denken betrifft paradoxerweise sogar defizitäre Leistungen! Es geht auch um Macht und Einfluss, insbesondere um den Zugriff auf die Patienten. Kassenärztliche Bundesvereinigung und Deutsche Krankenhausgesellschaft kämpfen um jeden Millimeter an der Sektorengrenze.
Auch wenn man sonst nicht viel Gutes über das Gesundheitsministerium sagen mag, so hat doch die Ampelkoalition in ihrem Koalitionsvertrag eine sektorgleiche Vergütung beschlossen, die dann auch tatsächlich umgesetzt wurde. Der § 115f SGB V definiert Eingriffe, die im Rahmen neu festgelegter Hybrid-DRG zu festen Preisen vergütet werden, und zwar unabhängig vom Ort der Leistungserbringung. In der Anfangsphase handelt es sich noch um eine überschaubare Zahl meist kleinerer bis mittlerer Prozeduren, eine Erweiterung ist in Arbeit. H-DRG sind deutlich billiger als stationäre A-DRG, aber besser vergütet als Operationen nach § 115b über den EBM. Mittlerweile sind auch die Abrechnungsbedingungen vertraglich von der Selbstverwaltung geregelt. Krankenhäuser rechnen wie üblich ab, Vertragsärzte derzeit über die KV, weil eine Direktabrechnung mit den Kassen erst zum 01.01.2025 (dann läuft übrigens der § 115f aus!!) möglich ist. Es ist müßig, an dieser Stelle auf alle Details, handwerklichen Fehler und Widersprüche der Rechtsverordnung einzugehen. Die Umstellung der bisher durchaus differenzierten Kalkulation im EBM auf nunmehr einheitliche H-DRG führt dazu, dass Kleinsteingriffe sehr hoch, mittlere Eingriffe gering verbessert und größere Eingriffe unter EBM-Niveau vergütet werden. Da die Kassen erkennen lassen, dass sie eine Abrechnung nach EBM-alt nicht akzeptieren werden und Kliniken nicht mehr stationär abrechnen dürfen, wird es vermutlich in der Folge zu Minderangeboten bis hin zur Leistungsverweigerung kommen. Als Erschwernis kommt noch hinzu, dass Sachkosten wie z. B. Osteosynthesematerial, Herniennetze und Implantate in den H-DRG versenkt sind. Wirtschaftlich gesehen müsste dann der Shouldice genutzt werden.
Es steht außer Frage, dass ambulante Eingriffe unter Kostengesichtspunkten gefördert werden müssen, aber mit Augenmaß. Bedauerlicherweise fehlt es beim Verordnungsgeber eindeutig an fundiertem Sachverstand und eine Beratung beispielsweise durch Berufsverbände oder Fachgesellschaften wird kategorisch abgelehnt.
Verteilungskampf oder Kooperation?
Angesichts der neuen Herausforderung sollten wir alle einmal aus den Schützengräben heraustreten und uns der Frage stellen, welche Organisationsformen am besten geeignet wären, diese Aufgabe zu bewältigen. Wenn eigentlich alle bis auf geschickte Rosinenpicker nur verlieren, muss man Lösungen finden, gemeinsam vorzugehen. Da ist natürlich auf der einen Seite der gemeinsame Verband, der gegenüber Politik und Selbstverwaltung die Interessen aller vertritt. Aber im Grunde ist jeder Einzelne selber verantwortlich, zum Wohle der Patienten eine qualitativ hochwertige Versorgung darzustellen. Schon heute kann der einzeln in der Praxis tätige Chirurg nur gelegentliche Kleineingriffe wirtschaftlich darstellen. Unter ökonomischen Gesichtspunkten rentiert sich nur ein Betrieb mit hoher ganztägiger Auslastung zur Reduzierung des prozentualen Anteils der Allgemeinkosten. Das wiederum ist mit einem laufenden Praxisbetrieb nicht zu vereinbaren. Wie unsere Statistiken zeigen, beschreitet die Kollegenschaft in großem Umfang den Weg der Kooperation, entweder mit mehreren in einer Praxis oder unter Nutzung externer OP-Zentren. Das werden auch die Ökonomen an den Krankenhäusern erkennen und dafür sorgen, dass neu errichtete ambulante OP-Einheiten ganztägig ausgelastet werden. Wenn das aus der eigenen Klientel nicht gelingt, wird auch hier zwangsläufig eine Kooperation mit Dritten erforderlich werden. Das mag anfangs ungewohnt sein und mit Sicherheit zu Reibungsverlusten führen. Am Ende ist das dann aber der Schritt in die richtige Richtung, nämlich zu einer wahren sektorenüberwindenden Versorgung unserer letztlich gemeinsamen Patienten.
Rüggeberg JA: Ambulantes Operieren – Wer will das eigentlich? Passion Chirurgie. 2024 April; 14(04): Artikel 03_01.
Autor des Artikels
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Dr. med. Jörg-Andreas Rüggeberg
Vizepräsident des BDCReferat Presse- & Öffentlichkeitsarbeit/Zuständigkeit PASSION CHIRURGIEPraxisverbund Chirurgie/Orthopädie/Unfallchirurgie Dres. Rüggeberg, Grellmann, HenkeZermatter Str. 21/2328325Bremen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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