01.06.2019 Viszeralchirurgie
Akute Cholezystitis: Leitliniengerechte Therapie
Die aktuelle Leitlinie zur Diagnostik und Therapie von Gallensteinen aktualisiert die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Gastroenterologie, Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten und der Deutschen Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie aus dem Jahr 2007. Die Leitlinie wurde interdisziplinär von Gastroenterologen und Chirurgen erstellt. Sie basiert auf den Empfehlungen der Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften für eine systematische evidenzbasierte Konsensus-Leitlinie der Entwicklungsstufe S3 und berücksichtigt die klinische Anwendbarkeit der Studienergebnisse.
Die akute Cholezystitis ist ein häufiges Krankheitsbild, meist ausgelöst durch einen vorübergehenden Verschluss des Ductus cysticus bei Gallensteinen. Eine Vielzahl der Patienten braucht kurz-, mittel- oder langfristig eine Cholezystektomie, um ein erneutes Beschwerdeauftreten zu vermeiden. In der Vergangenheit standen zwei Vorgehensweisen zur Wahl: Primär operativ die frühe Cholezystektomie versus primär konservative Therapie mit Antibiotika und Operation im Intervall (i. d. R. mehrere Wochen später) [2, 7]. Aktuelle Studien konnten mit hoher Evidenz zeigen, dass die frühzeitige laparoskopische Cholezystektomie als Standard anzusehen ist. Nach aktueller Leitlinie sollte diese innerhalb von 24 Stunden nach Aufnahme in einer 4-Trokartechnik durchgeführt werden [3, 4, 5].
Einleitung
Die akute Cholezystitis ist eine Entzündung der Gallenblase, die in den meisten Fällen durch Gallensteine verursacht wird (90 bis 95 %). Bei der Pathogenese der akuten Cholezystitis werden im Wesentlichen drei unterschiedliche Mechanismen verantwortlich gemacht:
- Die mechanische Entzündung, sie entsteht durch erhöhten intraluminalen Druck in der Gallenblase, die dann zu einer Überdehnung und Ischämie der Gallenblasenmukosa und -wand führt. Häufigste Ursache hier ist der Verschluss des Ductus cysticus.
- Die chemische Entzündung, sie basiert im Wesentlichen auf einer Freisetzung von Lysolecithin.
- Die bakterielle Entzündung, die durch eine Besiedlung der Gallenblasenflüssigkeit, im Weiteren dann mit einer Durchwanderung der Gallenblasenwand durch E. coli, Enterokokkus, Klebsiella oder Enterobacter, geschieht.
Eine Kombination dieser Mechanismen ist mit Abstand die häufigste Ursache einer akuten Gallenblasenentzündung. Auslöser sind häufig Gallensteine oder Sludge in der Gallenblase, welches den Gallenblasenabfluss stört. (Abb. 1)
Die Diagnose der akuten Cholezystitis basiert auf drei der vier folgenden Symptome: Rechtsseitige Oberbauchschmerzen, Murphy‘s-Zeichen, Leukozytose und Fieber. Zusätzlich sollten eine Cholezystolithiasis (Konkremente oder Sludge) oder die sonographischen Zeichen der Cholezystitis (Verdickung, ggf. 3-Schichtung der Gallenblasenwand) vorliegen. Unter Anwendung dieser Kriterien kann die Diagnose „Akute Cholezystitis“ eindeutig und nachvollziehbar gestellt werden [3, 4, 5] (Abb. 2).
In der Regel bedeutet die Diagnose „Akute Cholezystitis“, wenn keine Kontraindikationen vorliegen, die Indikation zur chirurgischen Entfernung der Gallenblase. War vor einigen Jahren der Standard der operativen Behandlung die konventionelle Cholezystektomie über eine Laparotomie im Bereich des rechten Oberbauches, so veränderte sich das Vorgehen mit zunehmender Expertise im Bereich der laparoskopischen Chirurgie zugunsten der laparoskopischen Cholezystektomie auch bei akuter Entzündung (Abb. 3). Eine Reihe von Studien konnten Vorteile der laparoskopischen Cholezystektomie für den Patienten belegen. Insbesondere die Sorge, dass es zu einer erhöhten intraoperativen Komplikationsrate bei primär laparoskopischem Vorgehen kommen kann, konnte in diesen Studien widerlegt werden [6]
Eine der wesentlichen Fragen bei der Behandlung der akuten Cholezystitis bestand darin, den optimalen Zeitpunkt für die laparoskopische Cholezystektomie zu finden. Es ging darum, ob zunächst eine antibiotische Vorbehandlung des Patienten und die Operation im symptomfreien Intervall erfolgen sollte oder ob eine frühe Operation oder nicht sogar die Operation innerhalb von 24 Stunden der beste Weg für den Patienten sei. Allein die Definition „frühe Operation“ wurde in der Literatur höchst unterschiedlich definiert. Aktuelle Studien zeigen nun eindeutig Vorteile für eine unverzügliche chirurgische Intervention. Das bedeutet, dass der Patient innerhalb von 24 Stunden nach Aufnahme im Sinne einer laparoskopischen Cholezystektomie behandelt werden sollte [3, 4, 5].
Evidenz
In einer retrospektiven Single Center Analyse (Immediate laparoscopic cholecystectomy for acute cholecystitis: No need to wait. Am J Surg 2006) wird erstmals zwischen unverzüglicher Cholezystektomie („immediate cholecystectomy“) innerhalb von 24 Stunden nach Vorstellung und früher Cholezystektomie („early cholecystectomy“) mindestens 24 Stunden nach Vorstellung unterschieden. Insgesamt wurden hier 253 Patienten analysiert und es zeigte sich, dass sowohl bei Komplikations- als auch Konversionsrate keinerlei Unterschiede zwischen den Gruppen festzustellen waren. Offensichtlich kann ein modernes Konzept zur Behandlung der akuten Cholezystitis darin bestehen, Patienten nach Diagnosestellung unverzüglich innerhalb von 24 Stunden laparoskopisch zu operieren. In diesem Fall wäre die Diagnose „Akute Cholezystitis“ bzgl. des Operationszeitpunktes z. B. mit der Diagnose „Akute Appendizitis“ vergleichbar [8].
In einer großen Registerstudie wurden insgesamt 4.113 Patienten analysiert, die aufgrund einer akuten Cholezystitis zwischen 1995 und 2006 einer laparoskopischen Cholezystektomie unterzogen wurden. Die Untersuchung basiert auf dem Register der Swiss Association of Laparoscopic and Thoracoscopic Surgery. Dabei wurden die Patienten unterschiedlichen Operationszeitpunkten zugeordnet. Es zeigte sich, dass die Patienten, die innerhalb von 24 Stunden nach Aufnahme operiert wurden, nur halb so viel postoperative Komplikationen entwickelten, wie die Patienten, die erst > 6 Tage nach Aufnahme operiert wurden (5,7 % versus 13 %). Ebenso stieg die Konversionsrate von 11,9 % auf 27,9 % und die Re-Operationsrate von 0,9 % auf 3 % bei der späteren Operation [1].
Die derzeit weltweit größte randomisierte Untersuchung zur akuten Cholezystitis ist die ACDC-Studie [3, 4, 5, 9]. Es handelt sich um eine interdisziplinäre, multizentrische, prospektiv-randomisierte Studie, die gemeinsam von Gastroenterologen und Chirurgen durchgeführt wurde.
Das Ziel der ACDC-Studie war es Outcome, Komplikationen und 75 Tage Morbidität bei Patienten mit akuter Cholezystitis, die entweder innerhalb von 24 Stunden laparoskopisch operiert oder zunächst konservativ behandelt und später elektiv cholezystektomiert wurden, zu vergleichen.
In die Studie eingeschlossen wurden erwachsene Patienten mit Zeichen und Symptomen einer akuten Cholezystitis. Die wichtigsten Ausschlusskriterien waren:
- ASA IV und V,
- septischer Schock,
- Perforation oder Abszess der Gallenblase,
- keine Möglichkeit zur laparoskopischen Cholezystektomie,
- Lebenserwartung < 48 Stunden,
- Schwangerschaft und Stillzeit sowie
- Kontraindikationen für Moxifloxacin, wie sie in der Fachinformation beschrieben sind.
Nach Randomisierung erhielten die Patienten in beiden Gruppen 400 mg Moxifloxacin i. v. für mindestens 48 Stunden mit der Möglichkeit bei Ansprechen auf orale Medikation umzustellen. Patienten der Gruppe 1 (frühe Cholezystektomie) wurden innerhalb von 24 Stunden laparoskopisch cholezystektomiert. Sie konnten ab dem zweiten postoperativen Tag aus dem Krankenhaus entlassen werden, wenn sie sich entsprechend klinisch darstellten. Die Test-of-Cure (TOC)-Visite wurde 75 Tage nach Studieneinschluss durchgeführt. Patienten der Gruppe 2 (konservativer Arm) wurden ebenfalls mindestens 48 Stunden mit Moxifloxacin i. v. und dann oral behandelt, bis sich Fieber und Laborparameter normalisiert hatten. Die Patienten wurden ab Tag vier aus dem Krankenhaus entlassen, evtl. unter oraler Moxifloxacin-Therapie. Die elektive Cholezystektomie wurde auf den Zeitraum sieben bis 45 Tage nach Einschluss in die Studie festgelegt, wobei als perioperative Prophylaxe eine einmalige Gabe von Moxifloxacin i. v. gegeben werden sollte. Die TOC-Visite fand ebenfalls am Tag 75 nach Studieneinschluss statt.
Im Ergebnis zeigten sich signifikante Vorteile für eine unverzügliche laparoskopische Cholezystektomie innerhalb von 24 Stunden nach stationärer Aufnahme der Patienten mit akuter Cholezystitis. Dabei wurden 304 Patienten in eine frühe Gruppe (Cholezystektomie innerhalb von 24 Stunden) und 314 in eine späte Gruppe (Cholezystektomie zwischen Tag sieben und 45 nach Aufnahme) eingeschlossen. Bezüglich des primären Endpunktes, Morbidität am Tag 75, ergab sich ein eindeutiges Ergebnis zugunsten der frühen Gruppe: 12 % vs. 33 %. Die Hospitalisierungsdauer war in der frühen Gruppe halb so lang, die Gesamtkosten des Klinikaufenthaltes unterschieden sich ebenfalls signifikant zugunsten der frühen Gruppe. Dagegen gab es keinen signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen bezüglich der Konversionsrate zur offenen Operation (10 % vs. 12 %). (Abb. 4, 5)
Leitlinie
In der aktualisierten S3-Leitlinie zur Prävention, Diagnostik und Behandlung von Gallensteinen sind diese Erkenntnisse eingeflossen [3, 4, 5]. So heißt es: Die akute Cholezystitis ist eine Indikation zur frühzeitigen laparoskopischen Cholezystektomie (A, I). Diese sollte innerhalb von 24 Stunden nach stationärer Aufnahme erfolgen (B, I).
Bei akuter Cholezystitis mit Zeichen der Sepsis, Cholangitis, Abszess oder Perforation sollen unverzüglich Antibiotika verabreicht werden (A, II). Zur Antibiotikatherapie bei unkomplizierter Cholezystitis liegt keine Evidenz vor.
Alternativ kann bei älteren Patienten oder erhöhtem Operationsrisiko (ASA-Risikoklasse ≥ III) eine perkutane Drainage der Gallenblase erwogen werden.
Die laparoskopische Cholezystektomie kann in jedem Trimenon einer Schwangerschaft bei dringlicher Indikation durchgeführt werden. Patientinnen, die bereits im ersten Trimenon symptomatisch geworden sind, sollten wegen erheblicher Rezidivgefahr im weiteren Verlauf ihrer Schwangerschaft früh elektiv operiert werden (B, III, starker Konsens).
Die laparoskopische Cholezystektomie sollte in einer 4-Trokartechnik durchgeführt werden (B, II, starker Konsens). Auf diese Weise wird ein erhöhtes operatives
Risiko für Komplikationen vermieden. Bei der Anwendung alternativer Zugangstechniken (z. B. Single Incision) ist eine entsprechende Expertise nachzuweisen, um unnötige Komplikationen zu vermeiden.
Gallengangsverletzungen bei der Cholezystektomie sollen interdisziplinär von einem in der hepato-biliären Chirurgie erfahrenen Chirurgen bzw. einem erfahrenen interventionellen Gastroenterologen behandelt werden (A, II, starker Konsens). Stehen diese nicht zur Verfügung, soll der Patient nach Einlage einer Ablaufdrainage in eine entsprechende Abteilung verlegt werden. Hier soll die primäre Revision und die notwendige Rekonstruktion durchgeführt werden.
Fazit
Die akute Cholezystitis ist eine klinische Diagnose, die zügig und eindeutig gestellt werden kann. Steht die Diagnose fest und liegt eine Operationsfähigkeit des Patienten vor, sollte die laparoskopische Cholezystektomie in einer 4-Trokartechnik erfolgen. Die Operation kann in jedem Trimenon einer Schwangerschaft bei dringlicher Indikation durchgeführt werden. Gallengangverletzungen bei der Cholezystektomie sollen interdisziplinär von einem in der hepato-biliären Chirurgie erfahrenen Chirurgen und einem erfahrenen interventionellen Gastroenterologen behandelt werden.
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Gutt CN: Akute Cholezystitis: Leitliniengerechte Therapie. Passion Chirurgie. 2019 Juni, 9(06): Artikel 03_01.
Autor des Artikels
Prof. Dr. med. Carsten Gutt
Abteilung für Allgemein,- Viszeral,- Thorax- und GefäßchirurgieKlinikum MemmingenBismarckstraße 2387700Memmingen kontaktierenWeitere Artikel zum Thema
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